Der Wildheit von Lernprozessen vertrauen

Ein Tänzer und eine Tänzerin im Tanzstudio, mitten in der dynamischen Bewegung fotografiert, sie halten sie an einer Hand fest.
(Foto: Laura Brichta)

Jakob Boyny und Martin Nachbar über Interdisziplinarität und ihre Chancen für eine Kunsthochschule.

Wie ist es an der HfMDK um hochschulweite Foren bestellt, die genau die Arten des interdisziplinären Austauschs ermöglichen, welche das Kunstschaffen unseres Erachtens maßgeblich ausmachen: das sinnliche, körper-leibliche und performative Erleben, Ausformen, Üben und Vorantreiben der beteiligten Kunstformen im interdisziplinären Austausch. Wir wollen reflektieren, wie die Hochschule die Erwartung umsetzt, die sie in ihrem Leitbild formuliert: „Wir fördern Innovation und Interdisziplinarität und schaffen Freiräume für Experiment, neue Arbeitsweisen und künstlerische Forschung.“

Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist das Symposium THE ARTIST’S BODY 6. Es fand am 26. und 27. November 2021 in der Hochschule statt und widmete sich, wie alle Ausgaben seit 2009, dem interdisziplinären Austausch zur Rolle des Körpers in den Künsten. Konzipiert und organisiert durch die Fachkommission Körper & Bewegung, ging es dieses Mal unter dem Titel ZUgeHÖREN darum, wie die Pandemie unser Zugehörigkeitsgefühl und unser körperlich-leibliches Miteinander verändert hat. Wir wollten zuhören und untersuchen, wie solchermaßen Zugehörigkeit entsteht. 72  Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Fachbereichen und der Verwaltung der HfMDK, von der Goethe-Universität wie auch externe Gäste nahmen an den Workshops, Panels, Vorträgen und Austauschformaten teil. Sie griffen die gestellten Fragen auf, diskutierten sie, probierten sich aus und hörten zu.

»Für mich – Martin Nachbar – war es das erste TAB Symposium. Mich hat gefreut, wie positiv der fachübergreifende Austausch und die Beschäftigung mit der Rolle des Körpers im Kunstschaffen aufgenommen wurde. Es war bereichernd, selber Workshops zu nehmen und Vorträgen zu lauschen. Erstaunt war ich, dass die größte Teilnehmendenzahl aus dem Tanz kam. Als wäre die Information im Vorfeld nicht ausreichend kursiert oder als gäbe es Vorbehalte gegenüber dem außercurricularen Austausch. Wird befürchtet, dass Zeit verschwendet werden könnte? Oder dass Lerninhalte nicht ‚ordentlich‘ vermittelt werden? Als Lehrender gehe ich davon aus, dass Lernen selten zu kontrollieren ist. Ich stelle zwar Inhalte und Rahmenbedingungen bereit und vermittle diese. Aber wann und wo bei Studierenden ‚der Groschen fällt‘, kann ich nicht bestimmen. Ich muss regelmäßig meine Vorstellungen loslassen und auf die sinnliche Wildheit des Lernens vertrauen. Das Symposium hat mir genau dies ermöglicht.«Martin Nachbar, Professor für Szenische Körperarbeit / Creative Senses im Fachbereich 3
»Für mich – Jakob Boyny – war es ebenfalls das erste Mal, dass ich an einem TAB Symposium teilgenommen habe, und ich blicke auf viele positive Erfahrungen! Die Auseinandersetzung mit meiner körperlichen Wahrnehmung und mit den soziologischen Themen meines Künstleralltags ist eine große Bereicherung in meinem Schaffen und hat mir neue Denkanstöße und Sinneswahrnehmungen verschafft. Es ist erschreckend, dass Körper- und Wahrnehmungsarbeit in meinem Alltag als auszubildender Musiker und Pädagoge oft hintenangestellt wird, obwohl dies doch der Schlüssel zu kreativem Schaffen zu sein scheint. Umso mehr sehe ich die Bereicherung meiner Ausbildung im Austausch mit den unterschiedlichen Fachbereichen. Er bietet den Raum für gegenseitige Unterstützung sowie die gemeinsame Entwicklung und Umsetzung kreativer Ideen. Und das Potenzial ist an der HfMDK vorhanden: Projekte, wie 2021 die gemeinsame Umsetzung von Bachs Cello-Suiten durch die Celloklasse von Prof. Jan Ickert und die Tanzabteilung mit Prof. Dieter Heitkamp lassen mich hoffen, dass interdisziplinäre Arbeit in Zukunft noch stärker gefördert wird.«Jakob Boyny, Student Lehramt Musik mit Hauptfach Violoncello

Die abschließende Feedbackrunde des Symposiums ergab ein ähnliches Bild. Studierende und Lehrende schätzten das Aufeinandertreffen mit Menschen aus anderen Abteilungen. Ein formulierter Wunsch war, dass die HfMDK eine Heimat für interdisziplinäres Arbeiten werde. Beispiele, dass dies möglich ist, finden sich an anderen Hochschulen. Zwei seien hier erwähnt:

  • Die Kollisionen-Projektwoche der Universität der Künste Berlin, die an der HfMDK bereits durch Professor Rhys Martin vorgestellt wurde. In der ersten Januarwoche jeden Jahres kommen Studierende und Lehrende aus allen Studiengängen zusammen und arbeiten gemeinsam in verschiedenen Projekten. Die Teilnahme wird den Studierenden mit zwei Leistungspunkten angerechnet.
  • Die Projektwoche NextDoors, die das Königliche Konservatorium in Antwerpen gemeinsam mit der Königlichen Akademie der Künste einmal im Jahr abhält. Die regulären Unterrichte sind ausgesetzt. Die Studierenden melden sich bei fächerübergreifenden Workshops an oder arbeiten an einem eigenen interdisziplinären Projekt mit anderen Studierenden.

Ob diese Beispiele für die HfMDK taugen, und was eventuell bereits jetzt umgesetzt wird, muss geprüft werden. Doch klar ist: Will die HfMDK Vorreiterin bei Interdisziplinarität an deutschen Kunsthochschulen sein, muss sie der Wildheit des Lernens noch mehr vertrauen und einen großen Schritt in Richtung des eigenen Leitbildes wagen. Gut möglich, dass das Zugehörigkeitsgefühl zur HfMDK unter Studierenden, Lehrenden und Verwaltenden dadurch noch stärker wird. Wir stellen uns eine solche Zukunft der Hochschule jedenfalls spannend vor.

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