Eine Prise Berufsrealität

Jakob Arnold und Anica Happich sitzen nebeneinander auf einer Treppe.
Anica Happich ist Schauspielerin, Jakob Arnold Regisseur. Gemeinsam lehren sie an der HfMDK in den Studiengängen Schauspiel und Regie angewandtes Branchenwissen in den Darstellenden Künsten.(Photo: Nils Schwarz)
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Die Thea­ter­land­schaft ist im Um­bruch, der Ruf nach an­ge­wand­tem Bran­chen­wis­sen als Teil des künst­le­ri­schen Stu­di­ums in den Fä­chern Schau­spiel und Re­gie wird lau­ter. Die HfMDK-Lehr­be­auf­trag­ten Ani­ca Hap­pich und Ja­kob Ar­nold er­klä­ren, wo­hin das führt.

Text: Ani­ca Hap­pich und Ja­kob Ar­nold

Struk­tur- und Hier­ar­chie­fra­gen, De­bat­ten um Zu­gäng­lich­keit und Di­ver­si­tät und nicht zu­letzt die kul­tur­po­li­ti­schen Kämp­fe in schrump­fen­den kom­mu­na­len Haus­hal­ten – noch­mals ver­stärkt durch die Pan­de­mie – be­fra­gen die in­sti­tu­tio­nel­le Thea­ter­struk­tur von meh­re­ren Sei­ten und klop­fen sie auf ihre At­trak­ti­vi­tät für jun­ge Thea­ter­schaf­fen­de ab.

Die­ser Vor­gang ist zwei­schnei­dig: Zwar mag das deut­sche Stadt-, Lan­des- und Staats­thea­ter teil­wei­se ei­nen Re­form­stau auf­wei­sen, doch blei­ben die öf­fent­lich ge­för­der­ten Thea­ter die Haupt­ar­beit­ge­ber für hun­der­te Künst­le­rin­nen und Künst­ler, die in den staat­li­chen Schau­spiel- und Re­gie­stu­di­en­gän­gen jähr­lich aus­ge­bil­det wer­den. Auf der an­de­ren Sei­te steht die – skur­ri­ler­wei­se in der Pan­de­mie er­stark­te – freie Sze­ne, die sich über pro­jekt­be­zo­ge­ne För­der­gel­der fi­nan­ziert und sich auf Kos­ten fi­nan­zi­el­ler Un­si­cher­heit eine fra­gi­le Frei­heit „er­kauft“; ob sich die ak­tu­ell durch die „Neu­start Kul­tur“-Gel­der kom­for­ta­ble Si­tua­ti­on über die Pan­de­mie hin­aus hal­ten kann, bleibt in­des ab­zu­war­ten.

Er­fah­rungs­wis­sen schützt vor Frus­tra­ti­on

Ein­ge­spannt zwi­schen den An­for­de­run­gen ei­nes von fi­nan­zi­el­len, per­so­nel­len und ma­te­ri­el­len Res­sour­cen knap­per wer­den­den Mark­tes und dem Be­dürf­nis nach struk­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen zu­guns­ten ei­ner grö­ße­ren künst­le­ri­schen Frei­heit des ein­zel­nen En­sem­ble­mit­glieds, se­hen sich auch die Aus­bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen mit pa­ra­do­xen For­de­run­gen kon­fron­tiert: Sie sol­len ex­zel­len­tes Hand­werk bei­brin­gen und zu­gleich in­di­vi­du­el­le künst­le­ri­sche Frei­hei­ten ga­ran­tie­ren, um ei­nen „si­che­ren“ Be­rufs­ein­stieg zu er­mög­li­chen.

Ein Phä­no­men in die­ser un­kla­ren Ge­menge­la­ge ist der Ruf nach be­rufs­prak­ti­schem Er­fah­rungs­wis­sen, das mög­lichst früh im Stu­di­um im­plan­tiert wer­den soll; dies wird an der HfMDK der­zeit u.a. ab­ge­deckt durch das Se­mi­nar „An­ge­wand­tes Bran­chen­wis­sen“, ge­lei­tet von der Ver­fas­se­rin und dem Ver­fas­ser die­ses Ar­ti­kels. Stu­di­en­in­hal­te zur Be­wer­bung, zum Selbst­mar­ke­ting, zu Netz­wer­ken und vie­lem mehr sol­len die Stu­die­ren­den er­mu­ti­gen, sich als im bes­ten Sin­ne „Selbst-Stän­di­ge“ auf den Weg in ein schwie­ri­ges Be­rufs­feld zu ma­chen. Zu­grun­de liegt hier­bei die Über­zeu­gung, dass ein schon früh ge­teil­tes prak­ti­ka­bles Bran­chen­wis­sen alle Be­schäf­tig­ten – und da­mit in ei­nem zwei­ten Schritt auch die Bran­che selbst – vor Frus­tra­ti­on schützt, zu In­no­va­ti­on er­mu­tigt und zu nach­hal­ti­gem Han­deln ein­lädt.

Die Ei­gen­wil­lig­keit der Kunst aus­hal­ten

Die schein­bar kunst­frem­den In­hal­te sol­cher Se­mi­na­re kön­nen frei­lich Skep­sis her­vor­ru­fen – und das wo­mög­lich gar nicht zu Un­recht. Sol­len hier die Stu­die­ren­den, die sich doch frei und künst­le­risch aus­pro­bie­ren sol­len, zu Selbst-Un­ter­neh­mern her­an­ge­zo­gen wer­den, zu neo­li­be­ra­len Sub­jek­ten, die sich mög­lichst gut ver­kau­fen?

Bei die­sem Ein­wand dient häu­fig das Fest­enga­ge­ment als Kon­trast­fo­lie ei­ner ver­meint­lich sich den Markt­ge­set­zen ent­zie­hen­den künst­le­ri­schen Ei­gen­lo­gik, in der nur der künst­le­ri­sche In­halt zäh­le. Ob die­se Pro­jek­ti­on auf die Thea­ter­rea­li­tät heu­te zu­trifft (und ob sie je zu­traf), darf an­ge­zwei­felt wer­den; den­noch müs­sen die ge­nann­ten In­hal­te in der Tat den ei­gen­wil­li­gen künst­le­ri­schen Ge­setz­mä­ßig­kei­ten stand- und die dar­aus re­sul­tie­ren­den Wi­der­sprüch­lich­kei­ten aus­hal­ten.

Dann kann im bes­ten Fall, so un­se­re The­se, eine Pri­se Be­rufs­rea­li­tät auf die künst­le­ri­schen In­hal­te zu­rück­füh­ren, in­dem sie Ge­setz­mä­ßig­kei­ten des Mark­tes er­kennt, ver­mit­telt und so ei­nen ge­las­se­nen und angst­frei­en Um­gang mit ih­nen ein­übt.

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Schwarz-weiß Bild einer jungen Frau, die im Foyer der HfMDK an einem Geländer hängt, wie an einer Turnstange.
(Foto: Maximilian Borchardt)

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