Ceci n’est pas une salle

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Überlegungen zu gedanklichen und praktischen (Frei-)räumen an einer Kunsthochschule – von Laura Nikolich.

Ich war immer der Ansicht, dass die darstellenden Künste im Wesentlichen nur leere Räume und Menschen brauchen – anders als beispielsweise die Instrumentalist*innen sind wir nicht an Objekte oder bestimmte Architekturen gebunden. Peter Brook schrieb in seinem berühmten Werk „Der leere Raum”: „I can take any empty space and call it a bare stage. A man walks across an empty space whilst someone else is watching him, and this is all that is needed for an act of theatre to be engaged.“ In etwa: Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn Bühne nennen.

Sicher mitunter dieser Denktradition folgend, wurden bei uns an der Hochschule für die darstellenden Künste mehrere turnhallenähnliche Räume, die mit Licht und teilweise mit Tanzboden ausgestattet sind, eingerichtet (oft sind sie komplett weiß oder komplett schwarz gestrichen).

Diese „leeren“ Räume an Hochschulen, auch als Studios oder Probebühnen bezeichnet, haben zwei wesentliche Funktionen: Raum zum freien Denken und Raum für Bewegung zu geben. Das ist Luxus, weil es nicht in erster Line der Produktion dient. Manche Leute fahren in die Natur, um in Ruhe nachdenken zu können, aber der Raum hier ist ein künstliches Gehäuse. Es wird für immer fremd bleiben. Anders als ein Hörsaal oder ein Klassenzimmer, geben diese leeren Räume nicht vor, wie mit ihnen zu verfahren ist. Bei vielen unserer Seminare sitzen wir in einem Kreis auf dem Boden. Wer Stühle bevorzugt, holt sich einen Stuhl.

Manche Leute fahren in die Natur, um in Ruhe nachdenken zu können.

Was ich sagen will, ist, dass Räume wie diese den Körper und den Geist zu einem kreativen Umgang bringen können. Damit diese Orte allerdings ihr Potential entfalten können, müssen sie der Struktur, die sie erschaffen hat, immer schon entfliehen. In gewisser Weise sind diese Räume Hologramme jener weißen Flecken, die von der Verwaltung und der Leitung der Hochschule zugelassen und/oder vergessen werden.

Man stellt uns also einen Raum zur Verfügung und gibt ihn damit aus der Hand: Die darstellenden und performativen Künste haben ihn bereits absorbiert, er ist bereits Teil unserer Gedanken und unseres gestalterischen Engagements. Innerhalb weniger Sekunden wird er vom Seminarraum zur Bühne und von der Bühne zur Probebühne und nicht zuletzt zum Ort einer Begegnung, die noch nicht genauer weiß, welchem Zweck sie dienen wird (und es vielleicht nie erfährt).

Diese Räume sind Räume – und keine Räume. Denn was sie sind, kann man nicht begehen. Orte des Transits, des Übergangs, alles Flüchtigen. In einer idealen Welt, wären diese Räume nicht Teil eines komplizierten Raumbuchungssystems und für uns alle zugänglich. In einer idealen Welt hätten wir noch mehr davon. Um dort im
„Nichts“ und im „Zwischen“ zu sein, nahe am Urzustand und gleichzeitig im ewigen Außen. Um dort zu sammeln: sich und andere. Und nicht zuletzt, um dort Zuflucht zu finden. Manchmal vor der Welt, und manchmal vor sich selbst.

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Thermografie-Aufnahme von Tänzer*innen beim Training an der Balletstange
(Foto: Laura Brichta)

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