Klang­architektur

Blick in den leeren Konzertsaal des Helsinki Music Center, die Bühne ist für ein Orchester eingerichtet, die Plätze für Publikum leer.
Die Helsinki Music Center Concert Hall, erbaut von den Architekten Marko Kivistö, Mikko Pulkkinen und Ola Laiho.(Foto: Voitto Niemelä)

Wer Räume für Musik plant, fragt nicht zuerst nach dem Standort, sondern nach der künstlerischen Erwartungshaltung. Ein Interview mit dem Raumakustik-Experten Gernot Kubanek, der die HfMDK zu ihren Neubauplänen beraten hat.

INTERVIEW: CARSTEN WIEBUSCH

Prof. Carsten Wiebusch: Herr Kubanek, mit Ihrem Akustik-Büro haben Sie schon unzählige Bauprojekte begleitet. Gab es auch schon Fälle, in denen es nicht um Musik ging?

Gernot Kubanek: Solche Fälle kommen immer wieder vor, ohne dass sich die Fragen für uns dabei groß unterscheiden  die Anforderungen sind allgemein sehr komplex: Wie können Atmosphären akustisch gestaltet werden, damit sich Menschen entspannt fühlen? Oder bei Büroatmosphären: Welche Akustik braucht es, um gut und konzentriert arbeiten zu können? Das sind unsere Hauptthemen. Beschäftigt haben wir uns aber auch schon mit der akustischen Gestaltung von Verkehrsbereichen, etwa in U-Bahnsituationen. Im Fokus hat man dann nicht nur, die Beeinträchtigung durch Geräusche zu minimieren, sondern Klangwelten zu erschaffen.

Prof. Carsten Wiebusch: Ist Akustik für Sie etwas Künstliches?

Gernot Kubanek. Wenn die Situation es erfordert, durchaus. Ich verstehe das allerdings weniger als Versuch einer Manipulation – es geht ja darum, das Denken anzuregen, die Phantasie. An der Hochschule für Musik in Detmold zum Beispiel haben wir eine Klangwelt in einen Raum konzipiert und dafür auch eine elektroakustische Anlage eingebaut. Wer hier bei einem Orgelkonzert die Augen schließt, hat den Eindruck, im Kölner Dom zu sitzen.

Prof. Carsten Wiebusch: Woran orientieren Sie sich, wenn Sie Räume für Musik planen?

Gernot Kubanek: Für uns ist zunächst wichtig zu erfahren, wie die Räume später genutzt werden und welche künstlerische Erwartungshaltung es gibt. Davon hängt dann alles Weitere ab, angefangen von der Geometrie bis zur Materialität.

Prof. Carsten Wiebusch: Gilt das auch für Unterrichtsräume in Hochschulen?

Gernot Kubanek: Jeder Raum ist anders, hat seine eigenen Bedingungen. Der Raum in Detmold, von dem ich gesprochen habe, sollte sich für sämtliche Formate eignen, die es im Veranstaltungsbereich geben kann. Für Sprechtheater, Musiktheater, sinfonische Konzerte, Orgelkonzerte, neue Musik – und auch für Kombinationen aus klassischen und elektroakustischen Komponenten. Damit das in dieser Bandbreite gelingt, muss man sehr bewusst planen. Ähnlich ist es bei Unterrichts- oder Überäumen: Da lautet die Grundanforderung zwar erstmal nur „Hörsamkeit“, das jedoch in einer gewissen Variabilität, weil Musiker*innen unterschiedliche Hörerfahrungen mitbringen und deshalb auch unterschiedliche Erwartungen an die Akustik im Arbeitsprozess haben. Dann muss man natürlich noch das Instrument berücksichtigen.

Prof. Carsten Wiebusch: Zum Beispiel eine Trompete: Wie sieht in diesem Fall ein Unterrichtsraum aus?

Gernot Kubanek: Die Trompete ist ein energiereiches Instrument, nur die Bassposaune hat noch mehr Kraft oder mehr Wumms, wie wir sagen. Wenn ich mit einem solchen Instrument in einem Raum spiele, erzeuge ich einen entsprechend starken Lautstärkepegel, bei dem dann auch der Gehörschutz wichtig wird. Andererseits zählt aus musikalischer Perspektive weiterhin, dass Klang eine gewisse Transparenz aufweisen sollte – ein extrem halliger Raum, in dem schnelle Tonfolgen nicht mehr so differenziert hörbar sind, wäre für eine Blechbläserin oder einen Blechbläser also sicher nicht das Richtige. Bei der Gitarre oder für Gesang ist das anders, da ist eine Unterstützung durch den Raumklang etwas wichtiger. Für sie sollte ein Raum nicht klangtot sein.

Prof. Carsten Wiebusch: Ich nehme Akustik als etwas sehr Subjektives wahr. Ein künstlicher Hall zum Beispiel lässt mich noch im Nachhinein den Klang eines Instruments als ebenso künstlich wahrnehmen. Wäre das anders, wenn ich die Augen schließen würde? Hört das Auge mit?

Gernot Kubanek: Unsere Wahrnehmung ist ganzheitlich. Ebenso ist es mit der Akustik. Räume beeinflussen uns nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch ihre Materialität, durch ihre Farbe, durch ihre ganze Erscheinung. Jeder Raum erzeugt auch optisch eine gewisse akustische Erwartungshaltung. Wird die unterlaufen, nehme ich das als künstlich wahr.

Prof. Carsten Wiebusch: Wie viel lässt sich bei Ihren Bau- oder Sanierungsprojekten berechnen, wie viel ist Erfahrung?

Gernot Kubanek: Am Ende geht es immer um eine Kombination aus beidem, auch wenn die Mathematik natürlich elementar ist. Je nach Instrumentierung müssen wir zum Beispiel eine andere Volumenkennzahl aufnehmen und dafür eine Form finden – wir sprechen hier von der Primärgeometrie des Raumes. Danach fängt man an, etwas feiner zu agieren und in die Verkleidungen einzusteigen, die Sekundärgeometrie. Welche Materialitäten haben wir, was sind die spezifischen Oberflächeneigenschaften? Dazu kommt die Frage, ob man auch diffuse Klangwirkungen erzeugen möchte, was für die Lebendigkeit im Raum nachher unglaublich wichtig ist. Dieses Durchmischen, dieses Eingehülltsein im Klang, ist lange bekannt, früher wurde es durch Putten und Strukturierung im Saal intuitiv erreicht.

Prof. Carsten Wiebusch: Würden Sie sagen, dass der Klang, die Akustik eher von den Oberflächen bestimmt wird oder von der Geometrie?

Gernot Kubanek: Nein, alles muss stimmen. Ich vergleiche Raumgestaltung gern mit dem Bau eines Sportwagens, auch der wird so lange feinjustiert, bis das Maximum erreicht ist. Die Grundstruktur sollte also schon mal passen, es ist sehr schwierig, einen akustisch unmöglichen Raum später noch zu optimieren.

Prof. Carsten Wiebusch: Stellen Instrumentalist*innen, die klassische Musik spielen, besondere Anforderungen an die Akustik?

Gernot Kubanek: Die Balance zwischen den einzelnen Instrumentengruppen im Orchester oder in einem Ensemble ist natürlich wichtig, außerdem, dass die Musiker*innen sich untereinander hören: Für das tiefe Blech ist zum Beispiel entscheidend, mit dem tiefen Holz korrespondieren zu können – die Celli sind dadurch, dass sie ihren Schwerpunkt eher im mittleren Frequenzbereich haben, in ihrer Durchsetzungsfähigkeit ohnehin etwas benachteiligt. Diesen Prozess des gegenseitigen Hörens und des Abstimmens zu unterstützen, halte ich bei allen Projekten für essentiell, nur so entsteht die passende, wirkungsvolle Stimmung.

Prof. Carsten Wiebusch: Gute Akustik ist letztlich also gute Kommunikation? Zwischen den Musiker*innen, aber auch zwischen den Ausführenden und den Zuhörer*innen? Der Klang und der Ausdruckswille müssen sich transparent übertragen können, nicht zu trocken, nicht zu verschwommen, nicht zu leise, nicht zu laut, nicht zu kalt, nicht zu warm?

Gernot Kubanek: Unbedingt, ganzheitlich betrachtet. Anders wäre das Musikmachen nur ein reines Reproduzieren – und das Musikhören keine Freude.

Im Gespräch

Gernot Kubanek hat die HfMDK zu ihren Neubauplänen beraten. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des
Instituts für Schalltechnik, Raumakustik und Wärmeschutz Dr.-Ing. Klapdor – kurz: ISRW Klapdor – mit Hauptsitz in Düsseldorf.

Carsten Wiebusch ist Professor für Orgel an der HfMDK, Konzertorganist, Mitglied der Neubaukommission an der HfMDK und sammelte selbst bauakustische Erfahrungen im Rahmen von Orgelneubauten und Kirchenneu- bzw. -umbauten. Ab Dezember wird er das Hochschulpräsidium als Vizepräsident unterstützen.

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