Musik, wo nichts ertönt

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Räume, die zu klingen scheinen, Schall und Reflexion: Nicolas Buzzi über einen Ansatz, der Musik eigenartig intensiv und umfassend erlebbar macht.

Wo ist ein Geräusch, wenn Sie es hören? In Ihrem Ohr, Ihrem Gehirn, aber wo kommt es her? Geräusche und Klänge sind menschliche Konstrukte, in ihrer physikalischen Form sind sie Schall. Schall entsteht durch ein Ereignis bei einer Schallquelle, bewegt sich von deren Position durch die Elemente und trifft später womöglich auf Wahrnehmungsapparate, welche daraus viele Informationen lesen können. Lautstärke, Tonhöhe und die Richtung, woher der Schall kommt, gehören dazu. Dazu kommt mitunter die Fähigkeit zum Erkennen von Schallreflektionen, von
Echos, wie klein die Verzögerungen auch sein mögen.

Dieses oft unbewusste Erfassen von sogenannten Spiegelschallquellen, von Schall reflektierenden Gegenständen, bildet einen zentralen Teil von erfahrener Räumlichkeit. Fällt diese Art von Räumlichkeit weg, können sowohl Schwindel als auch Übelkeit auftreten, Leute verlieren den Verstand. Gleichzeitig kommt gut durch den Alltag, wer sich Schallreflektionen nie bewusst macht. Den Schall kümmerts nicht, alle Hörenden werden von seinen Reflektionen unweigerlich in ein Verhältnis zu sich und ihrer Umgebung gesetzt. Die auditive Erfassung von Räumen, also von Materialien, Distanzen, Dimensionen und Verhältnissen, aber auch von anderen Subjekten und des eigenen Körpers inmitten all dem, offenbart fortlaufend neue Assemblagen – und birgt damit das Potential, Zuhörende mit dem Gehörten, dem was das Gehörte produziert, was es transportiert, formt oder mithört, zu verbinden.

Aufbau in einem Tonstudio: verschiedene Spiegel, ein Tonmischpult, Mikrofone und Lampen.
In der Reihe „Shortcuts – Experiment und Bewegung“ lädt Nicolas Buzzi ein, seine Kunst zu erleben: Am 13. Dezember in der KunstKulturKirche Allerheiligen.(Foto: Nicolas Buzzi)

Das Wort Wahrnehmung impliziert das Bestehen einer Wahl dafür, was als wahr genommen, als Realität erkannt wird. So ist auch räumliches Hören eine Art Entscheidung, auch das Erkennen von Spiegelschallquellen setzt eine gewisse Sensibilisierung voraus. Darüber hinaus kann es trainiert werden, ähnlich wie das Einordnen von Tonhöhen.

Wenn dann zwischen Ereignis und gespiegeltem Schall differenziert werden kann, obwohl die Verzögerung dazwischen rhythmische Dimensionen verlässt, wird es interessant: Zuvor unbemerkte klangliche Größen können zu Gestalten werden. Weiter offenbaren sich klangliche Veränderungen durch die Luft, durch Objekte, ihre Beschaffenheit, und damit akustische Seiten der Materialien selbst. Wenn sich so nicht vieles musikalisieren lässt, was vorher nur so da war.

Gesamte Räume lassen sich instrumentalisieren, besonders gut mit speziellen Lautsprechern, sogenannten Beamformern, welche mit gerichtetem Schall Reflektionen auslösen können, ohne zwingend selbst als klingende Objekte erkannt zu werden.

Das lässt sich nur vor Ort erleben. Bald auch in Frankfurt, ergänzt durch Reflektoren in der Form von großen Spiegeln, visuellen und akustischen Reflektoren zugleich. Da sich Licht und Schall vergleichbar spiegeln, wird auch per Sehsinn klar, dass nicht nur ein Reflektor selbst, sondern über diesen eben auch das Reflektierte erfasst werden kann. Es zeigt sich: Alle stehen in einem spezifischen, persönlichen Verhältnis zu räumlichen Parametern.

Damit birgt raumspezifisches Arbeiten die Chance zum Abstand von einer Idee standardisierter Erfahrungen – zur Umarmung der Tatsache, dass ein Ins-Verhältnis-Setzen von Objekten und Leuten mit der Umgebung die Perspektive der Wahrnehmenden nicht übergehen kann.

Porträtkonzert Nicolas Buzzi

Tu
13.12.

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