Die Hoffnung bleibt

Violine spielender Professor
Tim Vogler ist Professor für Streichkammermusik an der HfMDK und 1. Violinist des Vogler Quartetts.(Photo: Janine Bächle)
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Seit Be­ginn der Pan­de­mie ist in den Kon­zert­sä­len al­les an­ders. Wenn der Trend zu klei­ne­ren Ver­an­stal­tun­gen an­hält und dau­er­haft we­ni­ger Kar­ten ver­kauft wer­den: Kön­nen Künst­ler*in­nen da­von le­ben? Wie ist das für Sie, un­ser Pu­bli­kum? Fra­gen, die sich Tim Vog­ler stellt –  hier kön­nen Sie ant­wor­ten.

28. Fe­bru­ar 2022. Heu­te ist der 5. Tag nach dem Ein­marsch Russ­lands in die Ukrai­ne. Mei­ne Frau hat Co­ro­na und trotz drei­ma­li­ger Imp­fung ho­hes Fie­ber, wir müs­sen ver­schie­de­ne Räu­me be­nut­zen und wenn wir uns se­hen, dann nur mit Mas­ke und Ab­stand. Es fühlt sich fremd an, in die­sen er­schüt­tern­den Ta­gen und nach zwei Jah­ren Pan­de­mie über die Zu­kunft des Pu­bli­kums zu sin­nie­ren. Ich tue es trotz­dem, denn die Hoff­nung auf eine wie­der­keh­ren­de Nor­ma­li­tät in un­se­rem Le­ben bleibt, selbst wenn man gar nicht an­ders kann als zu glau­ben, dass vie­les be­ein­flusst blei­ben wird durch die Pan­de­mie und die­sen schreck­li­chen Krieg, von dem ich mir nie hät­te vor­stel­len kön­nen, dass er Rea­li­tät wer­den kann.

An­ge­sichts ei­ner gro­ßen Über­zahl von weiß­haa­ri­gen Köp­fen im Pu­bli­kum un­se­rer Kon­zer­te stell­te sich be­reits am An­fang der Lauf­bahn mei­nes Quar­tetts in den frü­hen 90er Jah­ren die Fra­ge, wie lan­ge klas­si­sche Kon­zer­te noch auf eine so treue, zahl­rei­che und ge­bil­de­te Zu­hö­rer­schaft zäh­len kön­nen. Ich zwei­fel­te da­mals dar­an. So ist es, zum Glück, nicht ge­kom­men. Es gibt nach wie vor vie­le Kon­zer­te und im­mer noch wer­den sie zu gro­ßen Tei­len von äl­te­ren Men­schen be­sucht. Viel­leicht gibt es ein ge­wis­ses Al­ter, in wel­chem Men­schen die Kunst, die Mu­sik oder das Thea­ter für sich ent­de­cken. All die Jah­re, in de­nen ich öf­fent­lich kon­zer­tiert habe, gab es Be­mü­hun­gen, mehr jun­ge Leu­te in die Kon­zer­te zu brin­gen. Schul­kon­zer­te, frei­er Ein­tritt für Stu­die­ren­de. Der gro­ße Er­folg dies­be­züg­lich hat sich nicht
ein­ge­stellt, aber viel­leicht tra­gen die­se Be­mü­hun­gen lang­fris­tig doch dazu bei, dass Kei­me ge­legt wer­den, die dann spä­ter Früch­te tra­gen.

Klei­ne Kon­zer­te statt gro­ße Hal­len

Ich glau­be, wir ha­ben in der Pan­de­mie ge­lernt, uns nicht mehr zu schä­men vor we­ni­ger Leu­ten zu spie­len. Das war frü­her an­ders, wir emp­fan­den nicht aus­ver­kauf­te Kon­zer­te oft als Ab­bild der Kri­se der klas­si­schen Mu­sik, oder als Zei­chen des sin­ken­den Markt­wer­tes un­se­res Quar­tetts. Mitt­ler­wei­le aber wis­sen wir, auch für we­ni­ge Leu­te lohnt es sich, al­les zu ge­ben. Und eine ge­wis­se In­ti­mi­tät mit dem Pu­bli­kum fühlt sich so­gar gut an. Vor der Pan­de­mie gab es ei­nen star­ken Trend zu Groß­ver­an­stal­tun­gen, was markt­tech­nisch zähl­te wa­ren „na­mes, na­mes, na­mes“. We­ni­ge Su­per­stars füll­ten gro­ße Hal­len und be­zo­gen sehr hohe Ga­gen. Heu­te gibt es ei­nen Trend hin zu klei­ne­ren Kon­zer­ten.

Mehr Nähe, mehr Ni­schen, mehr Viel­falt

Viel­leicht wird die Kam­mer­mu­sik ein Ge­win­ner der Pan­de­mie sein. Denn die Men­schen sind dank­bar, wenn sie Mu­sik aus der Nähe un­mit­tel­bar er­le­ben kön­nen. Per­sön­li­che Äu­ße­run­gen der Künst­ler über die ge­spiel­ten Wer­ke kön­nen die Di­stanz zwi­schen Pu­bli­kum und In­ter­pre­ten ver­rin­gern. Der all­ge­mei­ne Kennt­nis­stand des Pu­bli­kums ist nicht mehr so hoch wie noch vor 20 Jah­ren, aber die Be­reit­schaft, sich auf Kom­mu­ni­ka­ti­on ein­zu­las­sen, ist be­stimmt ge­wach­sen.

Die Kon­zert­welt ist di­ver­si­fi­zier­ter als frü­her, es gibt mehr Ni­schen und mehr Viel­falt. Das Pu­bli­kum ver­teilt sich in ver­schie­dens­te Rich­tun­gen. Vom Streich­quar­tett bis zu En­sem­bles für alte und neue Mu­sik, es gibt eine gro­ße Zahl von meist frei­be­ruf­li­chen En­sem­bles, die ihr ei­ge­nes Pu­bli­kum ha­ben, pfle­gen und da­mit eng an sich bin­den.

Die Fra­ge der Fi­nan­zie­rung

Was bleibt, ist die Fra­ge nach der Fi­nan­zie­rung. Wenn der Trend zu klei­ne­ren Ver­an­stal­tun­gen an­hält und dau­er­haft we­ni­ger Kar­ten ver­kauft wer­den, wie kön­nen Künst­le­rin­nen und Künst­ler da­von le­ben? Ich glau­be, För­de­rung bleibt zen­tral wich­tig für die Kunst. Und ich hof­fe, dass die gro­ßen Fra­gen un­se­rer Zeit, wie der Um­bau zur kli­ma­neu­tra­len En­er­gie­ge­win­nung oder die jetzt be­schlos­se­ne Er­hö­hung des Ver­tei­di­gungs­haus­hal­tes, nicht dazu füh­ren wer­den, dass die Kul­tur­för­de­rung dar­un­ter lei­den muss.

Wir Mu­si­ker ha­ben ge­lernt, uns dar­über freu­en zu kön­nen, zu spie­len, auch wenn we­ni­ger Men­schen als frü­her in die Kon­zer­te kom­men. Wie ist das für Sie, un­ser Pu­bli­kum? Kön­nen Sie Kon­zer­te ge­nie­ßen, wenn ne­ben Ih­nen Plät­ze frei sind? Viel­leicht emp­fin­den Sie das ja so­gar als eine neue Qua­li­tät?

„Wie ist das für Sie, un­ser Pu­bli­kum? Kön­nen Sie Kon­zer­te ge­nie­ßen, wenn ne­ben Ih­nen Plät­ze frei sind?“

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