Sei gefälligst kreativ!

Abstrakte Illustration: Eine Hand greift scheinbar in einen Kasten oder ein Gebäude, das aus Klaviertasten besteht und versucht, auf diesen zu spielen.
(Foto: Jan Buchczik (Illustration))
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Wenn Schöp­fer­kraft auf Hoch­schul­struk­tu­ren trifft.

TEXT: CHRIS­TO­PHER BRANDT

Das vor in­zwi­schen elf Jah­ren in ei­nem par­ti­zi­pa­ti­ven Pro­zess ent­wi­ckel­te Leit­bild der HfMDK war eine Wei­le eine wich­ti­ge Re­fe­renz für haus­in­ter­ne Dis­kur­se. Nach wie vor so et­was wie die of­fi­zi­el­le Sum­me des haus­ei­ge­nen Selbst­ver­ständ­nis­ses, scheint es et­was aus dem Hoch­schul­be­wusst­sein ver­schwun­den zu sein. Das ist ein we­nig scha­de, fin­den sich doch in die­sem Do­ku­ment in­ter­es­san­te und an­re­gen­de Hin­wei­se auf Selbst­bild und An­spruch der HfMDK. Es ist auf der Home­page schnell ab­ruf­bar, eine Lek­tü­re ist auch vor oder nach ei­ner Hoch­schul­ver­an­stal­tung mög­lich, auf ei­ner Säu­le im Foy­er ist es ab­ge­druckt.

Beim Wie­der­le­sen blei­be ich an fol­gen­dem Pas­sus hän­gen:
„Wir be­geg­nen ein­an­der mit Wert­schät­zung, in wech­sel­sei­ti­ger An­er­ken­nung der Kom­pe­ten­zen und schaf­fen eine At­mo­sphä­re, in der Au­then­ti­zi­tät und Krea­ti­vi­tät ge­dei­hen kön­nen.“

Ich stim­me in­ner­lich zu und blei­be am Wort „Krea­ti­vi­tät“ hän­gen. Mein ers­ter Ge­dan­ke: Ist Krea­ti­vi­tät an ei­ner Kunst­hoch­schu­le nicht et­was Selbst­ver­ständ­li­ches? War­um muss sie im Leit­bild aus­drück­lich er­wähnt wer­den, auf dass sie ge­dei­he wie in ei­nem Ge­wächs­haus? Was be­deu­tet ei­gent­lich Krea­ti­vi­tät im Kon­text ei­ner künst­le­ri­schen, aber auch wis­sen­schaft­li­chen oder päd­ago­gi­schen Aus­bil­dung? Im Ar­beits­all­tag von Stu­die­ren­den, Leh­ren­den, Ver­wal­tungs­kräf­ten?

Viel­leicht wäre eine De­fi­ni­ti­on an­ge­bracht. Das ist gar nicht so ein­fach, Krea­ti­vi­tät ge­hört zu je­nen Be­grif­fen, die om­ni­prä­sent sind – in Kunst, Wer­bung, Wirt­schaft, All­tag. Der So­zio­lo­ge An­dre­as Reck­witz (in sei­nem nach wie vor le­sens­wer­ten Buch „Die Er­fin­dung der Krea­ti­vi­tät“) at­tes­tiert der Ge­gen­wart gar ei­nen all­um­fas­sen­den Krea­ti­vi­täts­im­pe­ra­tiv in alle Sphä­ren der ka­pi­ta­lis­ti­schen Ge­sell­schaft hin­ein: „Sei ge­fäl­ligst krea­tiv!“, nicht mehr nur in der Kunst, auch im Kon­sum, in der Ar­beits­welt, in der Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung und Selbst­ver­wirk­li­chung.

Doch ge­ra­de die­se All­ge­gen­wär­tig­keit er­schwert eine Be­griffs­klä­rung, weil man mit Krea­ti­vi­tät in un­ter­schied­li­chen Kon­tex­ten ver­schie­de­ne Din­ge as­so­zi­iert – der von In­spi­ra­ti­ons­schü­ben durch­zuck­te Dich­ter, der mit­ter­nachts am Schreib­tisch wie von frem­der Hand dik­tiert sei­ne Ver­se erup­tiert, hat mit der Stadt­ver­wal­tung, die dem „Fach­kräf­te­man­gel krea­tiv be­geg­net“ (durch Ki­no­wer­bung bei­spiels­wei­se) nicht viel ge­mein. Vom la­tei­ni­schen crea­re für her­vor­brin­gen, schaf­fen, wäh­len her­ge­lei­tet, meint der Be­griff Krea­ti­vi­tät im All­ge­mei­nen die Fä­hig­keit, et­was zu er­schaf­fen, das es vor­her so nicht gab. In die­ser Un­dif­fe­ren­ziert­heit klingt das na­tür­lich ba­nal, an­de­re De­fi­ni­tio­nen schlie­ßen je­doch As­pek­te des Be­griffs, die zu­min­dest mir wich­tig er­schei­nen, aus: Manch­mal ist die Rede von her­aus­ra­gen­der und von all­täg­li­cher Krea­ti­vi­tät – Ers­te­res den Ge­nies und ih­ren Meis­ter­wer­ken vor­be­hal­ten, Letz­te­res eine Art de­ko­ra­ti­ver Be­stand­teil auch des ge­wöhn­li­chen Le­bens.

Viel­leicht habe ich bei mei­ner Leit­bild­lek­tü­re ge­stutzt, weil mir tat­säch­lich nicht klar ist, wel­che der bei­den Ka­te­go­ri­en das Leit­bild meint. Na­tür­lich set­zen wir uns mit Kunst und Kul­tur in ih­ren er­ha­bens­ten Ma­ni­fes­ta­tio­nen aus­ein­an­der, aber an­de­rer­seits ist der All­tag krea­ti­ver Men­schen (als sol­che wür­de ich der Ein­fach­heit hal­ber alle Stu­die­ren­den, Leh­ren­den und Ver­wal­tungs­men­schen an der HfMDK be­zeich­nen) auch von manch­mal ba­na­len, manch­mal er­mü­den­den Rou­ti­nen ge­prägt, vor al­lem aber von recht straf­fen Struk­tu­ren und bis­wei­len ein­engen­den Zwän­gen. 

»Kreativität ist kein Vorrecht genialischer Künstlertypen. Sie ist im Grunde [...] eine gewöhnliche menschliche Eigenschaft, die sich nicht [...] in künstlerischen Tätigkeiten manifestieren muss.«Prof. Christopher Brandt

Stu­die­ren­de kla­gen (zu Recht) über zu vol­le Stu­di­en­plä­ne, Mit­ar­bei­ten­de über er­drü­cken­de Ar­beits­last (voll­kom­men nach­voll­zieh­bar), Leh­ren­de über ein zu­neh­men­des Un­gleich­ge­wicht zwi­schen aka­de­mi­scher Selbst­ver­wal­tung und künst­le­ri­schem Un­ter­richt. Ha­ben wir Struk­tu­ren er­schaf­fen, die Krea­ti­vi­tät eher be­hin­dern als be­för­dern?

Dazu wie­der im Leit­bild: „Ne­ben kon­zen­trier­tem und ziel­ori­en­tier­tem Ar­bei­ten ist Raum für un­ab­hän­gi­ge Kunst­aus­übung, Selbst­fin­dung und krea­ti­ve Muße Vor­aus­set­zung für ein er­folg­rei­ches Stu­di­um.“ Die­sen Pas­sus fin­de ich be­son­ders in­ter­es­sant, weil er in sei­ner Kon­struk­ti­on ei­nen Ge­gen­satz sug­ge­riert zwi­schen Ziel­ori­en­tiert­heit und Kon­zen­tra­ti­on auf der ei­nen, Muße und Un­ab­hän­gig­keit, gar Selbst­fin­dung auf der an­de­ren Sei­te. Krea­ti­ve wis­sen, dass es die­sen Wi­der­spruch nicht gibt – ge­ra­de die fo­kus­sier­te Kon­zen­tra­ti­on auf ein künst­le­ri­sches Vor­ha­ben, die für Au­ßen­ste­hen­de oft ri­gi­de er­schei­nen­den Rou­ti­nen krea­ti­ven Ar­bei­tens, er­mög­li­chen die in­ne­re Un­ab­hän­gig­keit und die ar­tis­ti­sche Frei­heit, die dem künst­le­ri­schen Pro­zess ei­gen sein soll­te.

Ver­mut­lich ent­ste­hen zahl­rei­che krea­ti­ve Im­pul­se an der HfMDK so­gar in Op­po­si­ti­on zu gut ge­mein­ten, aber star­ren Struk­tu­ren, es wäre ja in der Ge­schich­te der Kunst nicht das ers­te Mal. Eine letz­te, mei­ne liebs­te De­fi­ni­ti­on von Krea­ti­vi­tät: Wir le­ben in ei­nem schöp­fe­ri­schen Uni­ver­sum, als sein Be­stand­teil kön­nen wir gar nicht an­ders als krea­tiv sein. Krea­ti­vi­tät ist kein Vor­recht ge­nia­li­scher Künst­ler­ty­pen. Sie ist im Grun­de nichts Be­son­de­res, eine ge­wöhn­li­che mensch­li­che Ei­gen­schaft, die sich nicht ein­mal not­wen­di­ger­wei­se in künst­le­ri­schen Tä­tig­kei­ten ma­ni­fes­tie­ren muss. Als an­ge­bo­re­ne Res­sour­ce des Schöp­fe­ri­schen soll­te sie al­len Men­schen zu­gäng­lich sein als in­te­gra­ler wie na­tür­li­cher Be­stand­teil ei­nes er­füll­ten, sinn­haf­ten Da­seins. Dies vor­zu­le­ben, zu leh­ren und zu ler­nen ist viel­leicht eine der no­bels­ten und – an­ge­sichts der Zu­mu­tun­gen der Ge­gen­wart – not­wen­digs­ten Auf­ga­ben künst­le­ri­scher Hoch­schu­len.

Au­tor

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