Kulturbauten brauchen Freunde

interview

War­um bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment und Freun­des­krei­se Mo­tor für die Ent­ste­hung von Bau­ten für die Küns­te sind und es da­bei um mehr geht, als das funk­tio­na­le Pla­nen neu­er Räum­lich­kei­ten, er­klärt die Kul­tur­ma­na­ge­rin Anna Klee­blatt im Ge­spräch mit HfMDK-Prä­si­dent El­mar Ful­da.

DO­KU­MEN­TA­TI­ON: BJÖRN HA­DEM

El­mar Ful­da: Frau Klee­blatt, wel­ches Bau­pro­jekt für Kunst und Kul­tur hat Sie zu­letzt be­son­ders be­geis­tert?

Anna Klee­blatt: Kla­re Ant­wort: das 199 Zu­schau­er fas­sen­de Kon­zert­haus in Blai­bach, ei­ner 2.000-See­len-Ge­mein­de im Baye­ri­schen Wald. Der Ab­wan­de­rung von Ein­woh­ner*in­nen be­geg­ne­te der Ar­chi­tekt Pe­ter Haimerl dort mit der küh­nen Idee, ein Kon­zert­haus in Schuh­schach­tel­form aus dem Bo­den zu stamp­fen – sehr spek­ta­ku­lär und vor al­lem vi­sio­när, wie ich fin­de. Ein­ge­weiht wur­de es 2014. In ihm ste­hen heu­te re­gio­na­le wie in­ter­na­tio­na­le mu­si­ka­li­sche Grö­ßen auf der Büh­ne, die Aus­las­tung liegt bei 100 Pro­zent. Die Fol­gen für den Ort: Es gibt dort wie­der zwei Gast­häu­ser, jun­ge Leu­te blei­ben und man merkt, wie nach Blai­bach das Le­ben zu­rück­kehrt.

Außenansicht des Konzerthauses in Blaibach im Abendlicht.
Das Konzerthaus in Blaibach(Photo: Edward Beierle)

El­mar Ful­da: Wor­in liegt die Ma­gie die­ses Pro­jekts?

Anna Klee­blatt: Si­cher in der Tat­sa­che, dass nie­mand ei­nen der­ar­ti­gen Bau an die­sem Ort er­war­tet: Er be­steht aus re­cy­cel­tem Glas­be­ton, ge­nau­er ge­sagt aus Dämm­be­ton mit Glas­schaum­schot­ter, der sich ge­kippt in die Erde ein­gräbt und eine wun­der­ba­re Akus­tik wie hei­me­li­ge At­mo­sphä­re be­son­ders für Kam­mer­mu­sik bie­tet. Es ist ein­fach ein tol­ler Ort, an dem man län­ger ver­wei­len möch­te, ob­wohl er auf den ers­ten Blick kühl und nüch­tern an­mu­ten mag.

El­mar Ful­da: Wie konn­te die­ser kul­tur­po­li­ti­sche Wurf ge­lin­gen?

Anna Klee­blatt: Am An­fang stand eine star­ke Vi­si­on. Es braucht im­mer Vi­sio­nä­re, die fest an ei­nen Ort glau­ben, mit viel En­er­gie ihre Idee durch­set­zen und Men­schen für sie be­geis­tern. Ein ähn­li­ches Bei­spiel an­de­rer Grö­ßen­ord­nung ist si­cher die Elb­phil­har­mo­nie, wo Men­schen sehr nach­hal­tig an ih­rer Idee fest­ge­hal­ten ha­ben. Und Mün­chen plant ge­ra­de nicht nur ei­nen Kon­zert­saal, son­dern ein wirk­li­ches Kon­zert­haus – mit gro­ßem und klei­nem Saal, 900 Qua­drat­me­tern Flä­che für Edu­ca­ti­on-Pro­jek­te und ei­ner 24/7-Zu­gäng­lich­keit zur Lo­ca­ti­on mit Shops und Gas­tro­no­mie. Also mit al­len Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen Be­such des Ob­jekts als Ge­samt­erleb­nis.

El­mar Ful­da: Der Baye­ri­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Mar­kus Söder hat un­längst er­klärt, das Pro­jekt brau­che eine Denk­pau­se, das klingt nicht nach schnel­ler Ver­wirk­li­chung.

Anna Klee­blatt: Die­se Äu­ße­rung be­ein­flusst zum Glück nicht, was im Hin­ter­grund pas­siert, näm­lich dass 16 Ge­wer­ke in­ten­siv an De­tails pla­nen. Ich bin zu­ver­sicht­lich, dass sich der er­klär­te Bür­ger­wil­le durch­set­zen wird. Mün­chen ist im­mens ge­wach­sen, ver­trägt das Mehr an kul­tu­rel­lem An­ge­bot, steht zu­dem in welt­wei­ter Kon­kur­renz, qua­li­fi­zier­te Ar­beits­kräf­te für eine Stadt zu be­geis­tern – muss da­für schon was bie­ten.

El­mar Ful­da: Wie ent­ste­hen Vi­sio­nen oder wie eben auch nicht?

Anna Klee­blatt: Vi­sio­nen ent­wi­ckeln sich aus ei­nem Mit­ein­an­der von Men­schen mit krea­ti­vem Geist aus ver­schie­dens­ten Ge­sell­schafts­be­rei­chen und Dis­zi­pli­nen, die nicht nur für das Hier und Jetzt eine Lö­sung su­chen, son­dern für ei­nen Zeit­raum von 20, 50 oder gar 100 Jah­ren. Wie Land­schafts­ar­chi­tekt*in­nen, die ei­nen Gar­ten ja auch nicht mit der Er­war­tung bau­en, dass sie in zwei Jah­ren ei­nen Park er­öff­nen kön­nen. Lei­der man­gelt es schon dar­an, dass kaum je­mand auf der Agen­da hat, dass eine Vi­si­on ent­wi­ckelt wer­den muss. Und tat­säch­lich be­mer­ke ich an vie­len Stel­len, in Rat­häu­sern und Lan­des­po­li­tik ei­nen Man­gel an Mut, selbst Vi­sio­nen zu kre­ieren oder zu in­iti­ie­ren. Des­halb über­frach­ten wir die Ar­chi­tekt*in­nen mit ei­nem rie­si­gen Auf­ga­ben­mix: Sie sol­len nicht nur auf vor­ge­schrie­be­nen Qua­drat­me­ter­flä­chen norm­ge­recht bau­en, son­dern auch irre Ide­en ent­wi­ckeln, die am bes­ten gleich das gan­ze Stadt­vier­tel auf­wer­ten. Ar­chi­tekt*in­nen stel­len dies zu Recht in Fra­ge, zu­mal dies al­les in­ner­halb ei­nes Ar­chi­tek­ten­wett­be­werbs ent­wi­ckelt wer­den soll und da­mit zu­nächst un­be­zahlt bleibt. Die­se Er­war­tung, ja An­spruchs­hal­tung ist aus mei­ner Sicht ein Feh­ler im Sys­tem.

El­mar Ful­da: Wer ist denn – wenn nicht al­lein die Ar­chi­tekt*in­nen – ver­ant­wort­lich für das Ent­wi­ckeln von Vi­sio­nen?

Anna Klee­blatt: Die Ver­ant­wor­tung wür­de aus mei­ner Sicht bei der Po­li­tik lie­gen. Die hier­bei auch Sor­ge tra­gen muss, dass alle po­ten­zi­el­len Nut­zer*in­nen ein­be­zo­gen sind – dazu zählt üb­ri­gens auch die Nach­bar­schaft, die je­den Tag an dem Ob­jekt vor­bei­läuft. Wich­tig ist, dass wir die ak­tu­el­len Pro­ble­me und zu­künf­ti­gen Be­dürf­nis­se ver­ste­hen und zu lö­sen ver­su­chen. Da­bei müs­sen wir an­ti­zi­pie­ren, wo­hin sich die Ge­sell­schaft ent­wi­ckelt, um nach­hal­tig zu pla­nen. Auf­ga­be von Po­li­tik und Ver­wal­tung ist es da­bei, kla­re Vor­ga­ben zu de­fi­nie­ren, da­mit eine Vi­si­on stand­hal­ten kann. Sie muss Me­ga­trends be­rück­sich­ti­gen und dazu Stel­lung be­zie­hen. In die­sem Sin­ne ist eine Vi­si­on eben kein Frei­brief, son­dern de­fi­niert durch­aus kla­re Vor­ga­ben.

El­mar Ful­da: Vie­le hät­ten da­bei am liebs­ten, dass al­les ei­gent­lich so bleibt, wie es ist. Ist un­se­re Ge­sell­schaft über­haupt be­reit für gro­ße Vi­sio­nen?

Anna Klee­blatt: Ich ant­wor­te mit ei­nem Ver­gleich bzw. ei­ner Fra­ge: Was möch­ten Sie es­sen – Wie­ner Schnit­zel mit Pom­mes oder ein Ge­richt aus ei­nem fer­nen Land, des­sen Be­zeich­nung man kaum aus­spre­chen kann? Mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit wer­den Sie sich für das Ih­nen Be­kann­te ent­schei­den. Wenn ich Ih­nen aber be­schrei­be, wie wun­der­bar das neue Ge­richt duf­tet und schmeckt und auf der Zun­ge zer­geht, und wie su­per Sie sich füh­len, wenn Sie es ge­ges­sen ha­ben, und wenn ich Ih­nen so­gar die eine oder an­de­re Zu­tat zum Kos­ten rei­che, dann ver­än­dert sich Ihre Ent­schei­dung wo­mög­lich.

Portrait von Anna Kleeblatt
Anna Kleeblatt kennt Kultur aus vielen Perspektiven. Sie wuchs im Theater ihrer Eltern auf, das sich aus der Operettenleidenschaft eines Kirchenchores zu einem professionellen Ensemble entwickelte. Sie war Marketingchefin der Bayerischen Staatsoper in München und fand heraus, dass die Zufriedenheit des Publikums zu 50 Prozent auf dem Erlebnis des Gebäudes beruht. Sie gründete das Forum „Kulturbauten der Zukunft“ und organisierte digitale Lectures zum Bauen für Kunst, das auch das ganze soziokulturelle Umfeld in den Blick nimmt.(Photo: Robert Haas)

El­mar Ful­da: Sie ha­ben die In­itia­ti­ve „Kul­tur­bau­ten der Zu­kunft“ auf­ge­gleist. Was ist der Aus­gangs­punkt?

Anna Klee­blatt: Wir ge­hen von der Fra­ge aus, wel­chen Nut­zen un­se­re Opern­häu­ser in Zu­kunft jen­seits der rei­nen Rauman­for­de­run­gen er­fül­len sol­len. Was brau­chen Be­su­cher*in­nen? An­ge­sichts bis­lang feh­len­der For­ma­te dazu ha­ben wir die Idee der Lec­tures um­ge­setzt, um Ex­pert*in­nen aus un­ter­schied­li­chen Dis­zi­pli­nen zu­sam­men­zu­brin­gen und den Blick al­ler da­mit zu wei­ten.

El­mar Ful­da: Als Mo­de­ra­to­rin die­ser Lec­tures, konn­ten Sie zen­tra­le Er­kennt­nis­se aus ih­nen zie­hen?

Anna Klee­blatt: Auf je­den Fall. Zu­vor­derst, dass die Vi­si­on, die am An­fang ei­nes Pro­jek­tes steht, groß sein muss und sich bes­ten­falls nicht nur auf ei­nen Bau be­schränkt, son­dern auch des­sen ur­ba­nes Um­feld mit ein­be­zieht. Man kann sehr viel mehr Nut­zen aus ei­nem Bau­pro­jekt zie­hen, wenn man alle Be­tei­lig­ten mit ein­be­zieht. Und wir müs­sen, um durch­zu­hal­ten, durch eine trans­pa­ren­te Kom­mu­ni­ka­ti­on den Rück­halt si­chern. Kom­mu­ni­ka­ti­on muss da­für sor­gen, dass alle ein­be­zo­gen sind und wis­sen, was pas­siert. Da­mit ein­her geht die we­sent­li­che Rol­le der Freun­des­krei­se von Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen. Sie sind die An­wält*in­nen ei­ner Sa­che, die sa­gen: Das ist „un­ser“ Opern­haus, „un­ser“ Mu­se­um, „un­se­re“ Hoch­schu­le. Wäh­rend an­de­re Be­tei­lig­te kom­men und ge­hen – sei­en es Leh­ren­de, An­ge­stell­te, Stu­die­ren­de oder Künst­ler*in­nen – blei­ben die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger. De­ren Rol­le un­ter­schät­zen vie­le noch völ­lig.

El­mar Ful­da: Wie kön­nen wir Freun­des­krei­se op­ti­mal ein­be­zie­hen?

Anna Klee­blatt: Ihre Mit­glie­der sind ei­ner­seits Nutz­nie­ßer*in­nen, aber auch Bot­schaf­ter*in­nen, im bes­ten Fall der ver­län­ger­te Arm in die Po­li­tik und Ge­sell­schaft. Sie sind kom­pe­ten­te Mul­ti­pli­ka­tor*in­nen und kön­nen un­ter­stüt­zend for­mu­lie­ren, wo die Not­wen­dig­keit für die Sa­nie­rung oder die Er­rich­tung ei­nes Neu­baus liegt. Es ist wie in an­de­ren Le­bens­be­rei­chen: Mit Freund*in­nen kann ich Sor­gen tei­len, Her­aus­for­de­run­gen be­spre­chen, sie ge­hen mit mir durch dick und dünn.

El­mar Ful­da: Ken­nen Sie er­folg­rei­che Bei­spie­le?

Anna Klee­blatt: Die Freun­de des Na­tio­nal­thea­ters in Mün­chen. Sie kämpf­ten nach dem Zwei­ten Welt­krieg da­für, dass ihr Opern­haus wie­der auf­ge­baut wird. Die Tom­bo­la da­für gab es bis in die 1990er-Jah­re. Bis heu­te ist das Selbst­ver­ständ­nis die­ses Krei­ses: Wir sind die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, die für „un­ser“ Opern­haus sor­gen.

Portrait von Prof. Elmar Fulda, Präsident der HfMDK Frankfurt, im Foyer der Hochschule.
Prof. Elmar Fulda, Präsident der HfMDK Frankfurt(Photo: Rebecca Hahn)

El­mar Ful­da: Wel­che Emp­feh­lun­gen kön­nen Sie uns, der HfMDK, für die Pla­nun­gen un­se­res Hoch­schul­neu­baus in Bo­cken­heim mit­ge­ben?

Anna Klee­blatt: Kom­mu­ni­zie­ren Sie früh­zei­tig, war­um Sie ein neu­es Zu­hau­se brau­chen, wel­che Pro­ble­me es löst und wel­chen Nut­zen die Hoch­schul­ge­mein­de wie die Ge­sell­schaft da­von ha­ben. Kom­mu­ni­zie­ren Sie gute wie schlech­te Nach­rich­ten. Fei­ern Sie Etap­pen­er­fol­ge ge­mein­sam. Und pla­nen Sie früh­zei­tig ein an­ge­mes­se­nes Kom­mu­ni­ka­ti­ons­bud­get ein. Und: Ma­chen Sie Ih­ren Freun­des­kreis zu Bot­schaf­ter*in­nen des Pro­jekts!

El­mar Ful­da: Wie viel Pro­zent der Bau­sum­me soll­ten wir für Kom­mu­ni­ka­ti­on und Mar­ke­ting in­ves­tie­ren?

Anna Klee­blatt: Min­des­tens ein Pro­zent, also 1,7 Mil­lio­nen Euro bei Ih­ren Ge­samt­kos­ten von 170 Mil­lio­nen Euro. Die Grö­ßen­ord­nung für In­ves­ti­tio­nen ins Mar­ke­ting liegt ei­gent­lich so­gar noch hö­her – bei fünf bis sie­ben Pro­zent. Sie müs­sen eine Sta­ke­hol­der-Ana­ly­se ma­chen, brau­chen eine kna­cki­ge Er­öff­nungs­kam­pa­gne, müs­sen Kri­sen­ma­nage­ment ein­kal­ku­lie­ren, soll­ten po­li­ti­sche Ent­schei­der*in­nen mit ein­be­zie­hen. Ma­chen Sie ganz vie­le Füh­run­gen schon jetzt in Ih­rem „al­ten“ Haus, um zu zei­gen, wie groß die ak­tu­el­le Not ist. Und dann so vie­le Bau­füh­run­gen wie mög­lich, so­bald es auf dem neu­en Are­al et­was zu se­hen gibt!

Mitdenken, mitbauen!

Schwarz-weiß Bild einer jungen Frau, die im Foyer der HfMDK an einem Geländer hängt, wie an einer Turnstange.
(Foto: Maximilian Borchardt)

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Wie viel ist ge­nug? Zwi­schen Über­fluss und Man­gel, zwi­schen krea­ti­ver Fül­le und not­wen­di­ger Re­duk­ti­on: Wir fra­gen, wann we­ni­ger mehr sein kann – und wann ganz si­cher nicht. Ein Blick auf künst­le­ri­sche Pra­xis, Bil­dungs­ge­rech­tig­keit und ak­tu­el­le Hoch­schul­po­li­tik.