Wenn Freiheit nicht unmöglich ist: „The Impossible Song“ von Koka Nikoladze

Sänger*innen mit Smartphones im Foyer der HfMDK Frankfurt
(Foto: Lena Bils)

Wie aus einer anderen Welt

Es ist 21 Uhr und die traditionelle Neue Musik Nacht der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst ist im vollen Gange. Der Himmel über dem Innenhof der HfMDK leuchtet im kühlen Blau der Abenddämmerung, als plötzlich ein Gongschlag ertönt. Das scheinbar beiläufige Geräusch initiiert eine Darbietung, die an eine subtile und musikalische Interpretation des gängigen Flashmobs erinnert: Chorale Töne erklingen, gefühlt von überall zugleich, steigern sich in gespenstisch klingende Laute, ebben auf und ab. Die Besucher*innen im Innenhof blicken sich um, suchend nach Antworten auf die Fragen: Woher kommen diese Stimmen? Und wie schaffen sie es, so harmonische Wellen von Musik zu erzeugen?

Wer aufmerksam hinsieht, erkennt einzelne Personen mit Kopfhörern und Smartphone ausgestattet, die konzentriert und dennoch entspannt an unterschiedlichen Stellen im Hof stehen. Sie sind es, die da singen – jede*r für sich und doch gemeinsam. Denn sie interpretieren gerade das Stück „The Impossible Song“, zu deutsch „Der unmögliche Song“, von Koka Nikoladze, dem derzeitigen Stiftungsgastprofessor für Komposition. Bei dem Werk handelt es sich um ein Performance-Stück für eine variable Gruppe von Sänger*innen. Die Idee dahinter: Einen Song zu schaffen, der rein technisch gesehen von Millionen von Sänger*innen gleichzeitig dargeboten werden kann.

Die Performance von "The Impossible Song" am Nachmittag im Foyer.
Koka Nikoladze steuert und „dirigiert" die Aufführung von „The Impossible Song“.(Foto: Hansjörg Rindsberg)

Die Kraft des Kollektivs

Mithilfe einer animierten Partitur, die über das 4G-Netz gestreamt wird, fügen sich die einzelnen Teile des Songs in ein großes Ganzes. Denn alle Teile sind miteinander synchronisiert. Die teilnehmenden Sänger*innen lesen ihre Parts in Echtzeit vom Smartphone ab und hören über Kopfhörer Referenztöne, zu denen sie singen. Nach der Darbietung des Songs zur Eröffnung der Neuen Musik Nacht um 17 Uhr durch den Kammerchor der Hochschule, wiederholte sich die Performance um 21 Uhr in einer erweiterten Fassung mit Studierenden, Lehrenden und Verwaltungsmitgliedern der HfMDK sowie Freunden und Förderern* der Hochschule und externen Gästen im Innenhof-Ambiente.

Kurz, aber eindrucksvoll zeigt „The Impossible Song“, was Einfachheit im Komponieren bedeutet und dass Freiheit durch Musik entfesselt werden kann, etwa durch die unerwartete Landschaft an Klängen und Tönen, die Foyer und Innenhof erfüllten. Oder auch durch die Tatsache, dass jede*r mithilfe von wenigen Instruktionen am kollektiven Musizieren teilhaben kann. Anders als der Titel suggeriert, macht „The Impossible Song“ aber vor allem eins deutlich: Unmöglich ist Nichts – nicht einmal die Freiheit selbst.

Teilnehmer*innen der Performance "The Impossible Song"
(Foto: Hansjörg Rindsberg)

Die Stiftungsgastprofessur Komposition an der HfMDK

Nach Brian Ferneyhough und Lucia Ronchetti war der Künstler, Komponist, Technologe, Multi-Instrumentalist und Instrumentenerfinder Koka Nikoladze für 2022/23 als Stiftungsgastprofessor Komposition an die HfMDK berufen worden. Die HfMDK hatte mit Nikoladze ganz bewusst keinen Komponisten im „herkömmlichen“ Sinne ausgewählt, sondern einen Tüftler und Erfinder an den Schnittstellen der Spartenfelder. Der Brückenschlag gelingt ihm oft über selbstentwickelte Technologien und eigene Interfaces.

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Die Stiftungsgastprofessur Komposition 2023/24 wird mit dem Künstlerkollektiv Annette Schmucki und Reto Friedmann besetzt. Unter dem Label „Blablabor“ arbeiten sie seit über 20 Jahren zusammen und untersuchen Sprache als Begriffs- und Klangträgerin, als Geschichts- und Kulturtransporteurin. Sprache ist für sie wandelbarer Inhalt, wandelbare Struktur, Klang. Die Themeninseln für ihre Arbeit mit den Studierenden der HfMDK sollen die Klanglichkeit der Sprache, Medienreflexion sowie Kollektive Autorschaft und Kokreatives Arbeiten umfassen.

Ermöglicht wird diese wechselnde Gastprofessur, die vom Institut für zeitgenössische Musik IzM organisiert wird, von der HfMDK-Stiftung, die damit maßgeblich das zeitgenössische Profil der Hochschule prägt.

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