Das ideale Klassenzimmer

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Beim Musikunterricht sofort an konkrete Raumkonzepte zu denken, führt am Thema vorbei: Schüler*innen sollten Musik nicht nur erleben, sondern auch verstehen, den Kontext kennenlernen. Der Musikpädagoge Johannes Hasselhorn folgt deshalb einem anderen Ansatz.

TEXT: JOHANNES HASSELHORN

Fragt man nach Räumen für den Musikunterricht, so denkt man zuallererst an den Musikraum (oder auch die Musikräume, wenn es gut läuft). Gerade auch dann, wenn man an einer neuen Schule anfängt, ist das Interesse an diesen Räumlichkeiten groß. Wie viel Platz bietet der Musikraum? Welche und wie viele Instrumente sind vorhanden und in welchem Zustand sind sie? Wie zugänglich sind sie gelagert? Gibt es eine feste oder flexible Bestuhlung? Wie ist die digitale Ausstattung? Gibt es eine Bühne? All dies sind Fragen, die man sicherlich heute stellen würde und auf die man
auch eine Antwort braucht, um effektiven, effizienten und auch guten Musikunterricht planen und durchzuführen zu können.

Grundschüler*innen sitzen mit ihren Instrumenten auf der Bühne in der Alten Oper. Im Vordergrund ein Mädchen mit einer Geige in der Hand.
(Foto: Lena Bils)

Räume aus Bildungs­perspektive

Doch sind diese Musikräume, die durch bauliche Bedingungen, durch die Gestaltung aktueller und ehemaliger Kolleg*innen und durch weitere Nutzungen von Schulgebäuden nicht unbegrenzt veränderbar sind, die wahren Räume, die für den Musikunterricht relevant sind?

Wohl eher nicht! Ein Musikraum in der Schule ist aus einer Bildungsperspektive betrachtet kein Selbstzweck, sondern sollte dazu dienen, Lernprozesse im Musikunterricht zu ermöglichen und zu fördern. In einer neuen Schule von der räumlichen Ausstattung auszugehen und zu überlegen, was darin wie möglich sein kann, ist zwar pragmatisch, aber im Grunde falsch. Es sollte genau anders herum sein.

Wenn der Musikraum dazu dient, Lernprozesse zu ermöglichen, dann muss ich mir Gedanken darüber machen, was denn eigentlich das Ziel meines Musikunterrichts ist. Was will ich, was sollen die Schüler*innen eigentlich in meinem Unterricht lernen, wie sollen sie sich entwickeln? Und was muss ein Fachraum leisten können, damit diese Lernziele unterstützt werden? Denken wir in dieser Richtung, können zukunftsweisende Ideen entwickelt werden, manchmal auch nur im ganz Kleinen.

Erfahrungs­basierte Phantasie

Das wiederum heißt aber, dass die wahren Räume vor allem in unseren Köpfen existieren! Wie soll mein Musikunterricht aussehen? Wie soll das umgesetzt werden? Wo sehe ich Grenzen? Die Frage nach dem „idealen“ Musikraum kann nur die Antwort auf die Frage nach dem idealen Musikunterricht sein, der wiederum nur die Antwort auf die Frage nach musikalischen Bildungszielen sein kann. Ein so gedachter Raum ist es, der den bestmöglichen Lernerfolg für alle Schüler*innen befördert. Er ist Unterrichtsräumlichkeit, Vorstellungskraft und Vision zugleich.

Dass die Grenzen in unserer Vorstellungskraft für schulische Bildungsprozesse und deren Erfolg von Bedeutung sind,
ist keine neue Erkenntnis. Schon in Erich Kästners „fliegendem Klassenzimmer“ erkennen die Schüler*innen, dass eine erfahrungsbasierte Phantasie wichtig ist. Doch einfach nur die Orte des Geschehens zu besuchen, kann nur ein Teil des Musikunterrichts sein. Das Erleben allein ist hilfreich, es braucht aber eine kognitive Verarbeitung des Erlebten, eine Kontextualisierung, um diese Erfahrungen mit anderen Wissensbeständen und Erinnerungen in Verbindung bringen zu können.

Natürlich ist es toll und vermutlich auch hoch bedeutsam, während der Schulzeit Konzerte besuchen zu können und auch selbst an Konzerten mitzuwirken, aber die Verarbeitung des erlebten Konzerts ist ebenfalls absoluter Kernbereich schulischen Musikunterrichts. Schüler*innen müssen Musik nicht nur erleben, sondern auch verstehen. Das Verstehen kann dabei auf unterschiedliche Arten, auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen Zugangsweisen stattfinden. Erst ein Verstehen verleiht Musik eine persönliche und individuelle Bedeutung.

Pluralität als Chance

Wenn wir Musiklernen so auffassen, dann wird schnell klar, dass die „Räume“ für den Musikunterricht tatsächlich zuallererst in unserer Vorstellung existieren und vor allem die Musik selbst, ihre Bedeutung und ihre Kontextualisierungen betreffen. Auch diese Räume sind nicht frei davon, Zielvorstellungen für den Musikunterricht zu entwickeln. Allgemeingültige musikalische Bildungsziele gibt es allerdings bislang nicht. Dies kann als großes Defizit des Schulfachs Musik aufgefasst werden, es kann aber auch als Stärke ausgelegt werden. Eine Stärke ist es dann, wenn wir diese Chance nutzen, den Musikunterricht und seine Ziele sehr passgenau an die Schüler*innen vor Ort abzustimmen.

Natürlich darf dabei nicht nur eine Rolle spielen, was die Schüler*innen gern tun und machen wollen, sondern es muss vor allem auch überlegt werden, was sie denn idealerweise lernen sollen. Aus der Vielfalt an Möglichkeiten hier passgenaue Angebote zusammenzustellen, ist eine herausfordernde Aufgabe, der sich Musiklehrkräfte stellen sollten. Auf diese Weise können sie geistige Räume für den Musikunterricht für alle Schüler*innen möglichst optimal gestalten.

Zurück zum Musikraum. Haben solche geistigen Räume denn dann noch einen Einfluss auf die Musikräume in den Schulen? Sie sollten es haben! Denn wenn wir an einem spezifischen Unterrichtsort Klarheit über die Unterrichtsziele, über die musikalischen Bildungsziele vor Ort haben, können wir die schulischen Räumlichkeiten Stück für Stück daran anpassen, sodass sie den Unterricht, so wie wir ihn uns an genau dieser Schule vorstellen, unterstützen.

Möglich­keiten der Digitalisierung

Für die Lehramtsstudiengänge gilt es daher, die Grundlagen zu legen, sodass die heutigen Studierenden morgen, übermorgen und auch in 30 Jahren noch in der Lage sein werden, solche Vorstellungen von Zielen und von Musikunterricht immer wieder an Veränderungen in der Gesellschaft anpassen zu können. Eine solche Flexibilität gehört eindeutig zu professionellen Lehrkraftkompetenzen. Das schließt auch den Einbezug neuer Entwicklungen mit ein, wie sie aktuell beispielsweise durch den letzten Digitalisierungsboom vorliegt.

Wenn wir wollen, dass der Musikunterricht in zehn Jahren Möglichkeiten der Digitalisierung zur Förderung des Lernerfolgs für Schüler*innen auch tatsächlich nutzt, dann müssen wir bereits heute Grundlagen solcher Entwicklungen in die Lehre integrieren. Das setzt natürlich auch voraus, dass wir selbst in der Hochschule digitale Möglichkeiten entwickeln, explorieren und erlernen können. Dies wird sicherlich auch aufgrund der angespannten Raumsituation an der HfMDK ein häufig wiederkehrendes Thema in der Lehrentwicklung der Hochschule sein.

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