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13.07.2024

17:00 18:00

Mo­zar­te­um Salz­burg: „Das schwei­gen­de Mäd­chen“

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(Foto: Jamil Sieweck)

Thomas Bernhard Institut – Universität Mozarteum Salzburg

„Das schweigende Mädchen“ (ÖE – Österreichische Erstaufführung) von Elfriede Jelinek

Es spielen

 

  • Colin Johner
  • Victoria Kraft
  • Joseph Lang
  • Valerie Martin
  • Lena Plochberger
  • Joyce Sanhá
  • Fayola Schönrock
  • Payam Yazdani
  • Adrian Weinek 

Das Mädchen aber schweigt. Es ist mächtig, weil es schweigt. Es schweigt, weil es die Macht hat. Das Schweigen des „Mädchens“ markiert eine Zäsur im demokratischen Miteinander, in dem die Sprache zum Schlüssel für Wissen und Aufklärung steht; es benennt eine Leerstelle in der Aufarbeitung von Rechtsextremismus; es fordert die Gesellschaft heraus, wehrhaft zu sein und gegen das Schweigen anzukämpfen.

Das schweigende Mädchen ist Allegorie und direkter Verweis auf die deutsche Rechtsextremistin und Mitglied der Terrorgruppe NSU: Beate Zschäpe. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) war eine – zwischen 1998 und 2011 existente – rechtsextreme und rechtsterroristische Gruppe. In den Jahren 2000 bis 2007 ermordete der NSU systematisch zehn in Deutschland lebende Unternehmer – vornehmlich mit griechischem und türkischem Migrationshintergrund: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter.

Diese rassistischen Morde haben in Deutschland nach 1945 neue Dimensionen der Brutalität von Rechtsextremismus offen gelegt und wurden jahrelang von der Medienberichterstattung und den Sicherheitsbehörden verharmlost. Stattdessen suchten die Ermittler innerhalb der migrantischen Communities nach „organisierter Kriminalität“ als Tatmotiv und stigmatisierten somit zusätzlich die Familien der Opfer.

Neben Beate Zschäpe gehörten auch Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zum NSU. Beide nahmen sich 2011 das Leben, nach einem misslungenen Banküberfall, wodurch der NSU überhaupt erst aufgedeckt wurde. Zschäpe verschickte Bekennervideos (die sogenannten Paulchen-Panther-Videos) und stellte sich der Polizei.

2013 begann der Prozess gegen Zschäpe und vier Mitangeklagte am Oberlandesgericht München. Ziel war es, herauszufinden, inwieweit sie selbst an der Mordserie beteiligt war. Nach 430 Verhandlungstagen sprach das Gericht Zschäpe im Juli 2018 des zehnfachen Mordes für vollends schuldfähig und erkannte sie als gleichberechtigtes Mitglied des NSU-Trios, das ebenfalls aus rassistischen Motiven heraus gemordet hatte, an, sodass sie zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Im Gegensatz zu ihr wurden die weiteren vier Mitangeklagten, die das Trio bei seinen Taten unterstützt hatten, zu milden Strafen verurteilt und sind teilweise sogar bereits auf freiem Fuß.

Trotz der Verurteilung Zschäpes wurde der NSU mit seinem komplexen Netzwerk nie vollständig durch die deutschen Sicherheitsbehörden aufgeklärt. Wie viele – gerade auch einflussreiche – Persönlichkeiten, Verfassungsschützer, Polizisten und andere Beamte vom NSU wussten und mithalfen, bleibt unklar. Gerade durch diverse Zeugenaussagen im Prozess ist jedoch ersichtlich, dass das rechtsterroristische Trio diese hohe Anzahl an Morden, Banküberfällen und Sprengstoffanschlägen ohne tiefgreifende Unterstützung nicht hätte ausführen können.

Reizbar, zum Tadel aufgelegt ist das Volk, es möchte wenigstens jetzt die Wahrheit, die nicht von seinen Organen kam, und diese Organe hat keiner rausgeschnitten, die sind noch da, noch aktiv, immer sehr aktiv bei diesem Volk, das endlich die Wahrheit möchte, die es jetzt viele Jahre lang gar nicht gemocht hat, es bekommt sie natürlich auch jetzt nicht. Hier findet keiner was, hier finden nur zehn Menschen nichts Besseres als den Tod.

Für die österreichische Dramatikerin Elfriede Jelinek markiert Zschäpes Gerichtsprozess den Ankerpunkt ihres Stückes „Das schweigende Mädchen“, welches 2015 erschienen ist. Jelinek geht es hier weniger darum, die Geschehnisse rund um den NSU zu wiederholen, oder die Perspektive der Täter oder der Opfer-Angehörigen darzustellen, nein, im Fokus stehen: wir. Die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft. Die das Grundgesetz hochhaltende Judikative, für die die Würde des Menschen unantastbar bleibt. Wie kann sich eine wehrhafte Demokratie einem provokativen Schweigen entgegenstellen? Wie zur Wahrheitsfindung gelangen? Und möchten wir die Wahrheit um jeden Preis hören, auch wenn sie uns an das eigene Versagen erinnert?

Jelinek schreibt gegen das Schweigen an. Mit einem gewaltigen Textkonvolut. Darin führt Jelinek vor, wie auch Sprache schweigen kann, wenn sie nicht willens ist, dahin zu gehen, wo es weh tut. So beschreibt Jelinek das Setting eines Gerichts, welches zwischen einem überirdischen „jüngsten Gericht“ und einer verfremdeten Darstellung des NSU-Prozesses changiert. Sie führt uns Figuren vor, die vermeintlich nach der Wahrheit suchen, aber stecken bleiben, in der Sensationslust an biographischen Details der Täterleben, in der Reproduktion von Zeugenaussagen. Figuren, die sich zwar Aufklärung wünschen, aber nicht so weit gehen, Strukturen und Machtverteilungen in unserer Gesellschaft zu hinterfragen und sie als Anlass für institutionellen Rassismus zu benennen. Freilich arbeiten sich Jelineks Figuren an der Wahrheitsfindung ab, vertagen sich dann aber doch immer wieder auf den nächsten Verhandlungstag, in der Hoffnung, dass er besser wird. Doch wie gut kann ein Tag werden, wenn man ihn nicht selbst zu einem solchen macht?

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(Foto: Jamil Sieweck)

Team & Credits

 

Regie: Simon Werdelis
Bühnen- und Kostümbild: Nogati Udayana
Dramaturgie: Antigone Akgün
Musik: Olga Podgaiskaya

Produktion des 4. Jahrgangs Schauspiel 

Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag 

Premiere: 18. April 2024 im Theater im KunstQuartier Salzburg 

Programmheft

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(Foto: Jamil Sieweck)