Historische Claviertechnik aus der Sicht der heutigen Musikphysiologie

Studentin spielt ein Cembalo
(Foto: Marvin Fuchs)

Beschreibung des Vorhabens und Ziel

Die Geschichte der Spieltechnik historischer Tasteninstrumenten ist komplex, vielfältig und teilweise widersprüchlich. Nicht nur wie über Stilistik, Ornamentieren und generell Interpretationsansätze, sondern auch wie über Anschlag, Spielhaltung (Position Hand und Körper), Fingersätze und damit zusammenhängenden Aspekten wie Artikulation geschrieben wurde, war einerseits von der Epoche abhängig, andererseits auch von dem kulturellen Ursprung des Verfassers merkbar geprägt.

Während man für wichtige grundsätzliche Aspekte der Technik, wie generelle Handhaltung, Fingerspiel oder Handgelenkbeteiligung, oft nur rudimentäre Hinweise findet, die einen – zumindest teilweise aus den naturgegebenen Bedingungen der Hand bzw. des menschlichen Körpers erklärbaren – Konsens teilweise über stilistische Epochen hinaus suggerieren, gibt es jedoch namhaften Quellen, die radikale, teilweise sogar widersprüchliche und sehr speziell gestaltete Herangehensweisen vorschlagen. Diese Problematik dazu geführt, dass unterschiedliche Konzepte der instrumentalen Technik in der Lehre einander oft als unvereinbare Positionen gegenüber standen und eine konkrete Beschäftigung mit den konkreten Auswirkungen auf Klang und Interpretation, mit dem Zusammenhang zu den vielfältigen Instrumententypen (Clavichord, Cembali unterschiedlicher Bauweise, Orgel, frühe Hammerflügel), sowie gegebenenfalls gesundheitlichen Vorteilen oder Gefahren historischer Spieltechniken aus musikphysiologischer Sicht bisher aussteht.

Dieses Forschungsprojekt befasst sich mit diesem Widerspruch: anhand neuester Erkenntnissen der Anatomie, Musikphysiologie und Neurowissenschaft versuchen wir, die verschiedenen aus Traktaten abstrahierbaren Konzepte, mit Schwerpunkt auf dem 16.- späten 18. Jahrhundert, anhand sachlich nachvollziehbarer Kriterien einzuordnen und zu überprüfen, ob und wie diese letztlich im Sinn einer gesunden und vorsorgenden Nutzung des Körpers anwendbar sind. Dabei soll ein wesentlicher Beitrag zum besseren Verständnis historischer Spielweisen im Einklang mit moderner Musikphysiologie geleistet werden.

 

Methoden

Neben Hinweisen aus Traktaten soll dabei vor allem ein äußert wichtiger, häufig kommentarlos in Partituren eingetragen erhaltener Spielparameter im Zentrum stehen: der Fingersatz. Als Ergänzung zu oft relativ allgemeinen und eher wenig detaillierten Empfehlungen und Beschreibungen der Spielhaltung, gibt er ausführliche Auskunft darüber, welche präzise Bewegungsabläufe zur jeweiligen Zeit bzw. im jeweiligen Stil bevorzugt wurden. Es ist mit dem heutigen Wissen der Musikermedizin zu einem erheblichen Teil möglich, diese komplexen Bewegungsabläufe verschiedener „Standardspielweisen“ wie Ornamenten, Skalenspiel, Doppelgriffen usw. mit großer Wahrscheinlichkeit zu „rekonstruieren“. Dafür werden einerseits aus verschiedenen historischen Quellen Fingersätze kontextbezogen analysiert und miteinander verglichen, andererseits die neuesten neurophysiologischen Modellierungen basischer und komplexer Bewegungsabläufe der Finger erläutert und praxisorientiert angewendet und aus den Experimenten damit sowohl künstlerische wie auch aufführungspraktische und musikphysiologische Rückschlüsse gezogen und dokumentiert. Ein Überblick über die gewählten Arbeitsweisen, die Quellenlage und die musikphysiologischen Aspekte, sowie natürlich besonders die gewonnenen Erkenntnisse sollen zusammenfassend in einem Lehrvideo präsentiert werden.

 

Umsetzung

In Verbindung mit den Fächern „Historische Spieltechniken Cembalo/Hammerklavier“ werden drei intensive Arbeitsphasen gemeinsam mit einem der führenden Spezialisten für Musikphysiologie mit Schwerpunkt Tasteninstrumenten Laurent Boullet und Lehrenden und Studierenden des HIP-Instituts durchgeführt.

Dabei sind die jeweils 3-tägigen Workshops wie folgt konzipiert:

  1. Jeweils ein theoretischer Teil mit einer zweistündigen Vorlesung und einer anschließenden Fragestunde für alle Teilnehmenden zu ausgewählten historischen Quellen bzw. Forschungsaspekten und darauf bezogenen Grundlagen der Handanatomie und Neurophysiologie
  2. Jeweils ein Workshop mit Studierenden, bei dem verschiedene Beispiele aus der historischen Literatur der instrumentalen Technik vorgestellt und miteinander verglichen, Problematiken definiert und Lösungsansätze gesucht werden. Verschiedene „berüchtigte“ Passagen aus ausgewählten Repertoirestücken sollen dabei ebenso diskutiert und anhand der Zusammenfassung zwischen Quellentexten und musikphysiologischen Konzepte untersucht werden, wie häufig herrschende physiologische Einwände und gegebenenfalls „Vorurteile“ zu historischen Spielanweisungen.

Anschließend wird aus dem gesammelten Material der Workshops ein Lehrvideo erstellt und die Forschungsergebnisse zusammengefasst. Das Ergebnis wird auf dieser Forschungswebsite bereitgestellt und das Lehrvideo verlinkt.

 

Ausblick

Mit Projektabschluss werden fortlaufende Entwicklungen ergänzt und die abschließenden Ergebnisse bereitgestellt.

 

Eva Maria Pollerus und Laurent Boullet