Experimentierboden – für immer

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Das Stu­die­ren­den­par­la­ment Stu­Pa ist ein Ex­pe­ri­men­tier­bo­den für di­ver­se Kol­la­bo­ra­ti­ons­for­ma­te – alle mit dem Ziel der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on der Stu­die­ren­den­schaft. Stu­den­ti­sche Kon­zert­for­ma­te, Trans­port­we­ge, Par­tys, Ma­ga­zin­ar­ti­kel und wei­te­re Auf­ga­ben stel­len ver­schie­dens­te An­for­de­run­gen. Gut, dass sich im di­vers auf­ge­stell­ten Stu­Pa Men­schen mit un­ter­schied­li­chen Kom­pe­ten­zen ge­gen­sei­tig er­gän­zen. Ganz in die­sem Sin­ne ge­ben wir Ein­bli­cke aus drei ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven: Stu­die­ren­de aus den Be­rei­chen Lehr­amt Mu­sik, Mu­sik-Per­for­mance und Schau­spiel.

Mischung aus Foto und Illustration: Ein Student steht mit offenem Instrumentenkoffer vor einer blauen Leinwand. Daraus kommen gezeichnete Noten, die ins Ohr eines gezeichneten Menschen gehen.
(Foto: Laura Brichta, Illustration: Jan Buchczik)

TEXT: MAU­RÍCIO HOM­BERG, HAN­NAH LIND­NER, RO­BIN VÖL­BEL

„Ge­lin­gen­de Zu­sam­men­ar­beit“ ist Grund­vor­aus­set­zung und Ziel je­des päd­ago­gi­schen Han­delns, sei es zwi­schen Leh­ren­den und Ler­nen­den, Ler­nen­den und Ler­nen­den oder Leh­ren­den und Leh­ren­den. Da­her wur­de und wird in­ner­halb der Lehr­amts­stu­di­en­gän­ge viel dis­ku­tiert: Wie las­sen sich mög­lichst vie­le jun­ge Men­schen für Mu­sik be­geis­tern? In­wie­fern müs­sen da­bei ver­schie­de­ne Bio­gra­fi­en, Her­künf­te, Vor­kennt­nis­se etc. be­rück­sich­tigt wer­den? Wie er­rei­chen wir „ge­lin­gen­de Zu­sam­men­ar­beit“?

Im Hoch­schul­lall­tag sind die­se wich­ti­gen Fra­gen stets prä­sent. Als Kunst­schaf­fen­de sind wir dau­ernd in Pro­zes­sen der Ko­ope­ra­ti­on: sei es im En­sem­ble, Or­ches­ter, Chor oder im Un­ter­richt, nicht nur in Theo­rie­se­mi­na­ren. Da­her ist es glei­cher­ma­ßen Pri­vi­leg wie auch Pflicht von uns Lehr­amts­stu­die­ren­den und Do­zie­ren­den, auf „ge­lin­gen­de Zu­sam­men­ar­beit“ in al­len Be­rei­chen des Hoch­schul­all­tags zu ach­ten.

Un­se­re Er­fah­rung ist, dass dies an der HfMDK meis­tens ge­lingt. Der Fach­be­reich und die Leh­re neh­men uns Stu­die­ren­de gut an die Hand und blei­ben gleich­zei­tig un­se­ren Wün­schen, An­re­gun­gen und Ide­en nicht ver­schlos­sen. Auch un­ter­ein­an­der „zwingt“ uns das Stu­di­um förm­lich zu „ge­lin­gen­der Zu­sam­men­ar­beit“. Bei den meis­ten prak­ti­schen Prü­fun­gen wä­ren wir ohne un­se­re Kom­mi­li­ton*in­nen als Be­gleit­band, En­sem­ble oder Prü­fungs­chor/-or­ches­ter ver­lo­ren und das so­li­da­ri­sche Mit­wir­ken bei die­sen ist ei­nes der un­ge­schrie­be­nen Ge­set­ze des Lehr­amts­stu­di­ums.

Neu-Ent­de­cken des Be­kann­ten

Kol­la­bo­ra­ti­ons­mo­del­le in der Kunst be­schäf­ti­gen Stu­die­ren­de nicht nur im Hoch­schul­all­tag. Auch wer ei­nen her­kömm­li­chen Kon­zert­saal be­tritt, ak­zep­tiert ei­nen un­ge­schrie­be­nen Kol­la­bo­ra­ti­ons­ver­trag: als Ver­an­stal­tungs­as­sis­tent*in­nen, die es durch or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ar­beit er­mög­li­chen, dass Kon­zert­for­ma­te über­haupt durch­führ­bar sind, als Per­for­mer*in­nen auf der Büh­ne, die kon­zen­triert eine Kunst prä­sen­tie­ren, oder auch als er­fah­rungs­be­rei­tes Pu­bli­kum, das sich aus Rück­sicht auf­ein­an­der ru­hig ver­hält.

Das Pro­dukt die­ser Zu­sam­men­ar­beit sind neue Ar­ten, Be­kann­tes im ei­ge­nen Le­ben zu be­trach­ten und in Be­zie­hung zu set­zen. Denn ge­nau das pas­siert auf der Kon­zert­büh­ne: auf In­stru­men­ten, de­ren Klang vie­len Kon­zert­be­su­cher*in­nen ver­traut ist, auf neue Wei­se Mu­sik zu ma­chen. Da­bei geht es um un­ge­wöhn­li­che in­ter­pre­ta­to­ri­sche Ent­schei­dun­gen, die sinn­voll er­schei­nen, wenn wir in ih­nen eine künst­le­ri­sche Über­zeu­gung, ei­nen ei­gens er­ar­bei­te­ten Blick­win­kel er­ken­nen.

Mischung aus Foto und Illustration: Eine illustrierte Figur und eine Studentin arbeiten zusammen an einem Mischpult.
(Foto: Laura Brichta, Illustration: Jan Buchczik)

Der Kon­zert­saal ist kein Safe Space für alte Ge­wohn­hei­ten. Sinn des Kon­zerts ist es nicht, am Be­kann­ten (häu­fig un­rich­tig als das Tra­di­tio­nel­le be­zeich­net) fest­zu­hal­ten. We­nig ist so lang­wei­lig, wie ins Kon­zert zu ge­hen, und ge­nau das zu be­kom­men, was man er­war­tet hat. Ge­ra­de das Er­schüt­tert­wer­den im Kon­zert ist das wun­der­bar Pro­duk­ti­ve.

Das dar­stel­len­de Spiel ist eben­so nur als Kol­la­bo­ra­ti­on ver­schie­de­ner Par­tei­en denk­bar: Nicht nur Dar­stel­len­de, son­dern auch Re­gie, Dra­ma­tur­gie, Mas­ke, Kos­tüm, Tech­nik, Büh­nen­bild und, und, und ... erst alle ge­mein­sam er­ge­ben ein En­sem­ble.

Da­bei fängt es schon bei je­der/je­dem ein­zel­nen Dar­stel­len­den an. Maß­geb­lich für gu­tes Spiel und Grund­la­ge be­reits der ers­ten Un­ter­richts­stun­den ist Re­ak­ti­on – auf das Um­feld, auf das Pu­bli­kum, auf die Spiel­part­ner*in­nen. Wie ste­he ich an ei­ner Bus­hal­te­stel­le und war­te? Was höre ich? Ist nicht auch das in kleins­tem De­tail eine Kol­la­bo­ra­ti­on mei­ner Um­ge­bung – mit mir dar­in? Die­ses De­tail lässt sich auf alle Spiel­si­tua­tio­nen über­tra­gen. Ein künst­le­ri­scher Ar­beits­pro­zess lebt vom Zu­hö­ren, da­von, sich ge­gen­sei­tig Raum zu las­sen. Eine Sze­ne kann nicht funk­tio­nie­ren, wenn wert­vol­le Im­pul­se Ein­zel­ner vom Ge­gen­über nicht auf­ge­nom­men wer­den kön­nen.

Wich­tig für die­sen Schaf­fens­pro­zess ist die Dis­kus­si­on. So ent­ste­hen span­nen­de Din­ge, wenn sich das Team bei der Ar­beit zwi­schen­durch auch mal un­ei­nig ist. Dann wird ge­tüf­telt, ge­rie­ben und ver­han­delt, bis ein Lö­sungs­weg ge­fun­den ist, der nicht un­be­dingt et­was mit dem Ur­sprüng­li­chen zu tun hat: et­was kom­plett Neu­es.

Rechts im Bild ein junger Mann mit geschlossenen Augen, links zwei Hände die ein dickes Seil halten. Das Foto wird ergänzt durch eine Illustration: Zwei Figuren bewegen sich tänzerisch auf dem fotografierten Seil.
(Foto: Laura Brichta. Illustration: Jan Buchczik)

Fai­re Kol­la­bo­ra­ti­on durch of­fe­nen Dis­kurs

In der Zu­sam­men­ar­beit der Stu­die­ren­den im Stu­Pa wird er­neut deut­lich, dass ohne Kol­la­bo­ra­ti­on nichts geht. Wir brau­chen ein­an­der, um Pro­jek­te stem­men und für die Stu­die­ren­den­schaft mög­lich ma­chen zu kön­nen. Das ist nicht im­mer ein­fach, vor al­lem, da alle Spar­ten der HfMDK beim Stu­Pa ver­tre­ten sind, und die Schau­spiel- und Tanz­ab­tei­lung etwa fes­te Stun­den­plä­ne ha­ben, wäh­rend die Schul­mu­sik- und Mu­sik­ab­tei­lung eher Se­mi­na­re bzw. Ein­zel­un­ter­rich­te ha­ben und auch das Se­mes­ter zu ver­schie­de­nen Zei­ten star­tet. Das führt zu Pro­ble­men bei Ter­min­fin­dun­gen, u. a. in der Ein­füh­rungs­wo­che, an der nicht alle Erst­se­mes­ter­stu­die­ren­de teil­neh­men kön­nen. Das wol­len wir än­dern, da wir uns wün­schen, was im Stu­Pa schon statt­fin­det: In­ter­dis­zi­pli­na­ri­tät.

Fai­re Kol­la­bo­ra­ti­on ist also kein li­nea­rer Pro­zess, son­dern ist vom of­fe­nen Dis­kurs ab­hän­gig. Das letz­te Wort kann nie­mals ge­spro­chen sein. So kann man auch Kunst­wer­ke ver­ste­hen: als stets un­voll­stän­di­ge äs­the­ti­sche Vor­schlä­ge in der De­bat­te dar­über, wie man die his­to­ri­schen Mit­tel in Be­zie­hung zur ge­gen­wär­ti­gen Lage set­zen kann. Nur die­ser Vor­gang des Neu-Ent­de­ckens des Be­kann­ten, das wir am ra­di­kals­ten in der Aus­ein­an­der­set­zung mit Kunst er­fah­ren kön­nen, ist es auch, was es ei­ner Ge­sell­schaft er­mög­licht, dis­kurs- und ver­än­de­rungs­fä­hig zu sein – eine Fä­hig­keit, die drin­gend ge­pflegt wer­den soll­te in un­se­rer Zeit, in der rechts­ex­tre­me Grup­pen durch dis­kurs­fer­nen Po­pu­lis­mus die de­mo­kra­ti­sche De­bat­te und ihre Räu­me ver­ächt­lich ma­chen. Es ist im Geist ge­nau die­ser of­fe­nen, zu­tiefst de­mo­kra­ti­schen De­bat­te, in der sich Men­schen an der Hoch­schu­le tag­täg­lich be­geg­nen und mit­ein­an­der zu­sam­men­ar­bei­ten. Un­ser For­schungs­pro­jekt lau­tet: über Kol­la­bo­ra­ti­on nach­den­ken. Lauf­zeit: für im­mer.

Fra­gen & Kon­takt

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