Wenn Sie mich nach meinen Ängsten fragen

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Für Studierende ist die Zukunft nicht mehr als ein vages Mosaik aus Wünschen und Kompromissen, findet Laura Nikolich. Hier beschreibt sie, wie es weitergehen – könnte.

Es gibt eine Szene in Marc Cherrys Serie „Desperate Housewives“, in der eine der Hausfrauen mit einem alten Vietnamveteran spricht – ihn fragt, warum ihr Mann sterben musste und sie überlebt hat. Er antwortet daraufhin: „Why ask?“, warum danach fragen? Ignoriert man kurz den Anklang der nationalistischen und kolonialistischen  Kriegsheldenverehrung, die alles, was jener Ex-Veteran sagen würde, mit Bedeutung versehen wissen will, ist das eine interessante Antwort. Wird es Jobs geben für uns junge Künstlerinnen und Künstler, wenn wir unser Studium absolviert haben? Zu Beginn von Corona waren wir nicht mal sicher, ob es die Theater noch geben würde.

Ich schlage also vor, der Frage, was mich oder uns in der Zukunft erwartet, ein „Why ask?” zu erwidern und sich auf Folgendes zu konzentrieren: Wie stelle ich sicher, dass ich nicht verrückt werde oder meine Integrität einbüße? Kann ich etwas tun, um meinen Onkel davon abzuhalten, AfD zu wählen und meinen Cousin davon, in den Incel-Foren auf Reddit verloren zu gehen? Kann ich ernsthaft und unapologetisch Kunst machen, arbeiten oder lieben? Bleibe ich wach, bleibe ich clean und bleibt, was ich sage, wahr?

Es ist nicht so, dass in die Zukunft zu schauen nicht interessant sein kann: vom Wetterfrosch bis zur Spieltheorie, vom
Wahrsagen bis zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und der Logik. Aber am Ende eines Tages kann ich nicht wissen, was am nächsten geschieht, und viel unheimlicher als das: Es gibt niemanden, der das könnte.

Wenn Sie nach meinen Ängsten fragen, dann ja, ist da Krieg, die Pandemie, die Klimakatastrophe, die Inflation und
Wirtschaftskrise…Aber es hilft mir nichts. Ich bin keine Aktivistin, ich bin keine Politikerin und auch keine Virologin. Ich
denke über diese Dinge wie folgt nach: Sich der Ideologie, der dümmlichsten und banalsten Form des Wahnsinns hinzugeben, den Wunsch nach einer Vaterfigur über die eigene Integrität zu stellen, reißt Löcher in die Atmosphäre, die jene, die nur für die Macht leben, liebend gerne füllen. Dabei versuche ich, mit dem was ich tue, Mechanismen wie diese auszuhebeln.

Ich will also nicht nach der Zukunft fragen, ich will uns hier und jetzt nahelegen, nicht den Verstand zu verlieren und betonen, dass ich das bereits für eine außergewöhnliche Leistung halte. Insbesondere für uns junge Studierende, deren Zukunft nicht viel mehr als ein vages Mosaik aus Wünschen und Kompromissen ist. Sie kennen sicher den fragwürdigen, der „Hustle-Kultur“ entlehnten Spruch: „Einen Wolf interessiert nicht, was die Schafe denken“ – ich wünsche mir bessere Schafe, Schafe, die ihren eigenen Kopf haben und die Wärme der Gruppe aus Vertrauen und nicht aus Angst suchen. Schafe, die Strategien entwickeln, den Wolf im besten Fall zum ergebenen Hütehund zu machen.

Über die Autorin

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