Unerzählte Geschichten aus dunklen Kapiteln – „Kuratieren“ beim OSTEN-Festival

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Mit drei sehr emo­tio­na­len Auf­füh­run­gen im Rah­men des OS­TEN-Fes­ti­vals in Bit­ter­feld-Wol­fen ging am 16. und 17. Juni 2024 die drit­te Run­de der Work­sho­prei­he „Ku­ra­tie­ren in den Küns­ten“ zu Ende. Neun Stu­die­ren­de aus un­ter­schied­li­chen Stu­di­en­gän­gen (Künst­le­ri­sche Aus­bil­dung Mu­sik, Kam­mer­mu­sik, Thea­ter- und Or­ches­ter­ma­nage­ment) ha­ben un­ter der Lei­tung von Fol­kert Uhde eine Kon­zert-Per­for­mance für das Rat­haus in Bit­ter­feld-Wol­fen kon­zi­piert. Der ge­führ­te, per­for­ma­ti­ve Rund­gang er­weck­te bis­lang un­be­kann­te und un­be­que­me Ge­schich­ten des Ge­bäu­des 041 mit mu­si­ka­li­schen und thea­tra­len Mit­teln zum Le­ben.

Eine Gruppe von Musiker*innen sitzt um einen Tisch im Rathaus herum. Alle tragen Einwegoveralls, wie sie die Spurensicherung an einem Tatort trägt. Sie spielen auf ihren Instrumenten und schauen in unterschiedliche Richtungen. Von links kommt orangenes Licht, der Rest des Bildes ist in bläuliches Licht getaucht.
(Foto: Falk Wenzel)
Eine Gruppe Musiker*innen sitzt mit verschiedenen Instrumenten um einen Tisch herum und musiziert. Alle tragen weiße Einweg-Overalls. Eine Studentin links im Bild steht an einem Laptop. Im Hintergrund sieht man historische Fotos, die an die Wand projiziert werden. Der Raum ist in blaues und rot-orangenes Licht getaucht.
(Foto: Falk Wenzel)
In einem Kellerraum musizieren zwei Studierende mit Cello und Oboe. Sie tragen weiße Einweg-Overalls. Durch das Licht werden ihre Schatten groß an die Wand geworfen. Im Vordergrund des Bilds sind einige Zuschauer*innen zu sehen, die durch eine Türöffnung in den Raum schauen.
(Foto: Falk Wenzel)
In einem Gang schaut eine Gruppe Zuschauer*innen, teilweise stehend, teilweise sitzend, auf eine Studentin unten links im Bild. Sie spielt ein winziges Klavier und trägt einen weißen Einweg-Overall. Die Noten hat sie auf einem Tablet. Rechts im Bild sieht man noch einen Teil einer Projektion an der Wand.
(Foto: Falk Wenzel)
Ein Cellist und eine Blockflötistin sitzen auf einer Art rechteckigem Stein in einem baufällig aussehenden Keller und spielen. Im Anschnitt sind Zuschauer*innen zu sehen.
(Foto: Falk Wenzel)

In drei Prä­senz­ter­mi­nen an der HfMDK und ei­ner mehr­tä­gi­gen Ex­kur­si­on hat­ten sich die teil­neh­men­den Stu­die­ren­den in­halt­lich und dis­kur­siv mit dem po­li­ti­schen und we­nig be­ach­te­ten Hin­ter­grund der Zwangs­ar­beit im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus am Auf­füh­rungs­ort Bit­ter­feld-Wol­fen aus­ein­an­der­ge­setzt. Dar­aus ent­wi­ckel­ten sie ein in­ter­dis­zi­pli­nä­res per­for­ma­ti­ves Pro­jekt vol­ler Em­pa­thie und Sen­si­bi­li­tät. Un­ter der Lei­tung des re­nom­mier­ten Kon­zert­de­si­gners Fol­kert Uhde be­spiel­ten sie ein his­to­ri­sches Ge­bäu­de und setz­ten Mu­sik, Dra­ma­tur­gie und Büh­nen­bild be­wusst ein. Das Er­geb­nis hin­ter­ließ eine tie­fe Re­so­nanz bei Pu­bli­kum, Fes­ti­val­or­ga­ni­sa­ti­on und auch bei den Mit­wir­ken­den selbst.

»Wir müssen dir und den Studierenden für eure großartige Arbeit, euren Einsatz und euere Passion für das Projekt bedanken. Es hat mich wirklich bei allen drei Vorstellungen sehr berührt.«Martin Naundorf, Kurator des OSTEN-Festivals, an Folkert Uhde

Die Per­for­mance

Der Streif­zug durch die viel­schich­ti­ge Ver­gan­gen­heit des Ge­bäu­des führ­te die Be­su­cher*in­nen auf un­ge­wohn­ten We­gen durch die In­nen­räu­me. Im Emp­fangs­raum des heu­ti­gen Rat­hau­ses star­te­te die Per­for­mance mit ei­nem be­kann­ten Kin­der­lied der ehe­ma­li­gen DDR, das die flei­ßi­ge Fa­brik­ar­bei­te­rin und Mut­ter idea­li­siert. Das hei­te­re Stück kipp­te ir­gend­wann über freie Im­pro­vi­sa­ti­on und Vi­deo­pro­jek­ti­on ei­nes süd­ko­rea­ni­schen Fa­brik­ar­bei­te­rin­nen-Lie­des in eine sub­ti­le Sys­tem­kri­tik. Die Ge­heim­nis­se des Hau­ses be­gan­nen hier durch­zu­drin­gen: eine Ge­schich­te von Zwangs­ar­bei­te­rin­nen, die bis in die NS-Zeit zu­rück­reicht.

In einem Raum mit Holzvertäfelung sitzen die Studierenden an einem langen Holztisch verteilt und tippen auf Schreibmaschinen. Sie haben nun Alltagskleidung über ihre Overalls gezogen. Das Publikum steht am Rand und schaut zu.
(Foto: Falk Wenzel)
In einem Raum mit Holzvertäfelung sitzen die Studierenden an einem langen Holztisch verteilt und tippen auf Schreibmaschinen. Sie haben nun Alltagskleidung über ihre Overalls gezogen. Im Hintergrund sind große Fenster zu sehen. Das Publikum steht am Rand und schaut zu. Eine Studentin mit kurzen braunen Haaren und einem schwarzen Blazer ist hier im Vordergrund.
(Foto: Falk Wenzel)
Die Studierenden stehen mit dem Rücken zu einem langen Holztisch und lesen etwas vor. Das Publikum steht am Rand und schaut zu.
(Foto: Falk Wenzel)

Ver­bor­gen ist auch das Un­ter­ge­schoss, in dem die Eli­te ei­nen Schutz­bun­ker hat­te. Hier spiel­ten die Stu­die­ren­den ein ba­ro­ckes Stück mit Oboe, Block­flö­te und Cel­lo. Un­ter­schwel­lig lock­te ein Marsch rhyth­mi­scher Schreib­ma­schi­nen­klän­ge die Be­su­cher*in­nen nach oben durch das Ge­bäu­de. Mys­tisch und leicht kon­tras­tier­te hier ein Flö­ten­so­lo das eben Ge­hör­te und ging über in ein Stück für Toy Pia­no und Elek­tro­nik.

Ge­gen­sät­ze und bi­zar­re Echos so­wie die mar­sch­ar­ti­gen Klän­ge gip­fel­ten im letz­ten Stück und obe­ren Stock­werk. Macht und drän­gen­de Klän­ge ver­schmel­zen in ei­nem Stück, das auf Schreib­ma­schi­nen ge­spielt und per­for­ma­tiv in Sze­ne ge­setzt wur­de – in Ge­den­ken an die Op­fer, die hier end­lich ei­nen Na­men be­kom­men und die Am­bi­gui­tä­ten des Or­tes ent­hül­len.

»Mit der breiten Zustimmung bei der Europa- und Kommunalwahl für die rechtsextreme AfD in Sachsen-Anhalt und weiterer diskriminierenden und fremdenfeindlicher Parteien, die nun an politischer Macht gewonnen haben, ist es unerlässlich auf die deutsche Geschichte mit all ihren Kapiteln zu verweisen und die daraus resultierende Verantwortung zu übernehmen. Das Projekt „Gebäude 041“ hat die Besuchenden erreicht und diese durch die hohe künstlerische und musikalische Qualität emotional tief berührt. Wir danken allen Teilnehmenden für ihren Einsatz in dem Projekt und ihr Gedenken an die bisher unbeachteten Frauen der Filmfabrik Wolfen.«Kulturpark e.V. und das Team des Festival OSTEN

Selbst mit­ma­chen

Die An­mel­dung für die nächs­te Run­de der „Ku­ra­tie­ren“-Work­sho­prei­he ist schon ge­star­tet! Im Win­ter­se­mes­ter 2024/25 wird Hei­ke Hoff­mann zu uns kom­men. Für die letz­ten neun Jah­re war sie die künst­le­ri­sche Lei­te­rin der Schwet­zin­ger SWR Fest­spie­le. Mit Fried­berg wird der Spiel­ort die­ses Mal in der Nähe von Frank­furt sein.

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