Unterrichtsbesuche für Freunde und Förderer*

Hauptprobe
Schauspielprobe(Photo: Marvin Fuchs)
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TEXT: RUTH FÜH­NER

Was für ein Glück, jun­gen Men­schen beim Sich-Aus­pro­bie­ren zu­schau­en zu dür­fen, beim Ler­nen, beim Wach­sen, beim Wer­den! Als ge­wöhn­li­ches Tanz- oder Thea­ter-Pu­bli­kum be­kommt man ja im­mer nur Fer­ti­ges zu se­hen, Fer­tig-Kei­ten im dop­pel­ten Sinn. Und wer schon mal bei Opern- oder Thea­ter­pro­ben da­bei war, er­in­nert sich si­cher nicht nur an­ge­nehm an den rau­en Wind, der dort weht, dank Pro­duk­ti­ons­druck und hier­ar­chi­scher Struk­tu­ren. Bei mei­nen Un­ter­richts­be­su­chen an der HfMDK be­geg­ne ich ei­nem ganz an­de­ren, freund­lich zu­ge­wand­ten Geist.

Be­wusst habe ich Un­ter­richts­stun­den aus­ge­sucht, in de­nen es um Kör­per­ar­beit ging, nicht um die Ar­beit an ei­nem Text. Weg von der Kopf-Au­to­ri­tät, hin zur For­mung von Prä­senz und Kör­per­lich­keit. Da­hin, wo ganz phy­sisch Zu­trau­en in die ei­ge­nen Fä­hig­kei­ten und Ver­trau­en auf die an­dern ent­steht.

Kle­be­strei­fen mar­kie­ren das Büh­nen-Acht­eck

Schon die ers­te Stun­de mit an­ge­hen­den Schau­spie­ler*in­nen des drit­ten Se­mes­ters – „Sze­ni­sche Kör­per­ar­beit“ bei Mar­tin Nach­bar – ver­blüfft mich: aus simp­len Im­pro­vi­sa­ti­ons­vor­ga­ben ent­wi­ckelt sich sehr schnell et­was, das schon wie eine fer­ti­ge (nur eben lei­der nicht re­pro­du­zier­ba­re) Cho­reo­gra­phie wirkt. So viel En­er­gie ist da, Ver­dich­tung und Auf­lö­sung, Kon­zen­tra­ti­on auf sich selbst, aber auch Auf­merk­sam­keit fürs Tun der an­de­ren, ein be­wuss­tes Da-Sein im Raum, Wahr­neh­men des Raums sel­ber. Ei­nes sehr spar­ta­ni­schen Raums im Üb­ri­gen, in dem le­dig­lich Kle­be­strei­fen auf dem Bo­den je­nes Acht­eck mar­kie­ren, das spä­ter das Büh­nen­bild be­gren­zen wird.

Tanzprobe
Tanzprobe(Photo: Hansjörg Rindsberg)

Mein nächs­ter Be­such führt in die Klas­se von Nica Brendt Cac­ci­vio. Zeit­ge­nös­si­scher Tanz, acht jun­ge Men­schen, sechs Her­kunfts­län­der, Un­ter­richts­spra­che: Eng­lisch. Wie ent­steht ein Kör­per­ge­dächt­nis? Wie er­zeugt und übt man Be­we­gungs­ab­läu­fe, die nicht ein­fach ver­puf­fen, son­dern wie­der­hol­bar sind? Paa­re bil­den sich. Auf ei­nem Flip­board steht eine Rei­he von An­wei­sun­gen: Pull, push, stop, run…Und: Rol­len wech­seln! Da­bei ge­hen die Paa­re sehr un­ter­schied­lich vor. Ei­nes hat ganz schnell für sich her­aus­ge­fun­den, dass der Haupt­teil auf dem Bo­den statt­zu­fin­den hat. Mit- und an­ein­an­der er­pro­ben die bei­den Ver­knäu­lun­gen, die auf eine un­aus­ge­spro­che­ne, aber den­noch kla­re Fra­ge­stel­lung zu ant­wor­ten schei­nen.

Ein zwei­tes Paar han­delt die Sa­che erst­mal ver­bal aus. Ein drit­tes wirkt, als ob die Be­we­gungs­ab­läu­fe wie von selbst, aus dem Kampf ent­ge­gen­ge­setz­ter Kräf­te her­aus er­wüch­sen. Zwei, drei Mi­nu­ten lan­ge Be­we­gungs­ab­fol­gen ent­ste­hen, die mehr­mals wie­der­holt wer­den. Erst beim letz­ten Durch­lauf kommt Mu­sik dazu, die Nica Brendt Cac­ci­vio spon­tan aus­wählt – für je­des Duo ein an­de­res Über­ra­schungs-Ei. Er­staun­lich, wie sich da­durch nicht nur der Ab­lauf­rhyth­mus än­dert, son­dern auch der Aus­druck (oder soll­te ich sa­gen: der Ein­druck?): zu Vi­val­di schei­nen da auf ein­mal zwei Bot­ti­cel­li-Nym­phen zu schwe­ben, beim Song von So­phie Hun­ger liegt ge­ball­te Me­lan­cho­lie im Raum – Ge­füh­le und Bil­der, die erst im Zu­sam­men­spiel von Auge und Ohr ent­ste­hen. Kaum mehr ist aus­ein­an­der­zu­hal­ten, was hier wie wirkt: der Tanz, die Mu­sik.

Ganz nah dran

Wach­sen­des Kör­per-Ver­trau­en

Und auch das gibt es an der Hoch­schu­le: Akro­ba­tik-Un­ter­richt! Ein Hauch von Turn­hal­le liegt in der Luft, wenn Didi Wey­ro­witz die Erst­se­mes­ter Schau­spiel be­hut­sam her­aus­for­dert. Die Her­aus­for­de­rung liegt für alle auf un­ter­schied­li­chen Ebe­nen. Da gibt es die ge­bo­re­nen Kunst­tur­ner und sol­che, die ih­ren letz­ten Pur­zel­baum, wenn über­haupt, im Kin­der­gar­ten ge­schos­sen ha­ben. Aber egal – hier geht es dar­um, Zu­trau­en in den ei­ge­nen Kör­per zu ge­win­nen. Der Hand­stand will ein­fach nicht ge­lin­gen? Egal, noch­mal ver­su­chen, bes­ser schei­tern. Und noch ein­mal. Bis man am Ende wirk­lich steht – auf den ei­ge­nen Hän­den. Zum Ab­schluss der Stun­de wer­den alle der Rei­he nach von den an­dern auf Schul­ter­hö­he ge­ho­ben und – das sieht ziem­lich ge­fähr­lich aus! – ge­kippt, bis nichts mehr bleibt als ab­zu­sprin­gen. Das Ver­trau­en in die an­de­ren ver­schwis­tert sich mit dem Ver­trau­en in sich selbst.

Zwei Schauspielstudentinnen in einer Szene: Sie sitzen auf einem grauen Sofa, einander zugewandt im Gespräch, in den Händen Sektgläser.
Das Sofa stand in der Durchlaufprobe bereits: Szene aus „Macht Liebe - Liebe Macht“ (Vordiplom Schauspiel 2023).(Photo: Marvin Fuchs)

Zum Schluss noch ein­mal ein Be­such bei den Schau­spiel-Dritt­se­mes­tern, zur Durch­lauf­pro­be für rei­gen­ar­tig an­ein­an­der mon­tier­te Sze­nen von Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der. Drei Wo­chen vor der Pre­mie­re im Frank­furt LAB ist das schon be­kann­te Acht­eck im kar­gen Pro­ben­raum von noch un­sicht­ba­ren Vor­hän­gen um­ge­ben (Zu­zie­hen nicht ver­ges­sen!), dar­in ste­hen aber im­mer­hin schon Sofa, Ses­sel und Re­qui­si­ten. Die Re­gie­an­wei­sun­gen (Licht aus, Mu­sik an, Auf­tritt, Black) spricht der Pro­fes­sor für Schau­spiel Wer­ner Wöl­bern lei­se in den Raum. So un­fer­tig die Sze­ne­rie ist – die Sze­nen selbst sind so gut wie per­fekt. Und die Schau­spie­ler*in­nen schon ganz da in ih­ren Rol­len. Am Ende der Durch­lauf­pro­be zei­gen sie stum­me, ein­dring­li­che Pas de deux, die sie in der sze­ni­schen Kör­per­ar­beit mit Mar­tin Nach­bar ent­wi­ckelt ha­ben: ag­gres­siv-ver­letz­li­che Mi­nia­tur­kom­men­ta­re zu Fass­bin­ders er­bar­mungs­lo­sen Be­zie­hungs-Tex­ten.

Hier bin ich bei­nah schon am Ende ei­nes Pro­zes­ses – und habe Lust, die Re­set-Tas­te zu drü­cken. Zu se­hen, was die Stu­die­ren­den ganz am An­fang mit­ge­bracht ha­ben, da­mals, als sie frisch an die Hoch­schu­le ka­men. Wie sie Un­ge­ahn­tes in sich frei­leg­ten, wel­che Hin­der­nis­se sie aus­räu­men muss­ten. Wie sich das her­aus­schäl­te, was jetzt sicht­bar wird und in Zu­kunft un­end­lich wan­del­ba­re For­men an­neh­men wird: die Büh­nen­per­sön­lich­keit.

Über die Au­torin

Dr. Ruth Füh­ner ist von Haus aus Ger­ma­nis­tin. Sie hat vie­le Jah­re als Mo­de­ra­to­rin, Kri­ti­ke­rin und Au­torin für hr2-kul­tur und an­de­re Me­di­en ge­ar­bei­tet. Der GFF hat sie sich aus Be­geis­te­rung für die En­er­gie und das En­ga­ge­ment jun­ger Künst­ler*in­nen an­ge­schlos­sen.

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